I like the way I can't keep my focus
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#1


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


I like the way I can't keep my focus
I had time to think it over
and all I can say is come closer

Die Feiertage waren überstanden, das neue Jahr eingeläutet und der Alltag hatte sie alle zurückgewonnen. Die Dekorationen wieder sachgerecht verräumt, dominierte nun statt Geschenkwünschen, Weihnachtsessen und dem Abstimmen allerlei Terminen vor allem ihre Arbeit - oder zumindest sollte es so sein. Denn statt sich auf ihr Buch zu konzentrieren, das in den letzten Zügen lag und den Lektoren bereits vorlag, hatte sich eine andere, neue und fremdartige Priorität in ihre Kopf geschlichen. Emrys, den sie seit dem Treffen in Harvard nicht noch einmal gesehen hatte, wurde plötzlich zum Gegenstand ihrer Gedanken, in skurrilen Situationen kam in Ellis der Impuls auf seinen Scherz zu machen, von dem sie vermutete, dass Emrys einsteigen oder belachen würde.
Eine seltsame, frühe Form der Intimität, die Ellis das letzte Mal in Studienzeiten erfahren und die einen eindeutigen Ausgang genommen hatte. Sich überhaupt auf ein Gefühl einzulassen, das in diese Richtung ging war vollkommen befremdlich, gleichsam bedrohlicher Natur für die Autorin, die, wenn es in Richtung Nähe ging, lieber den Sicher ist sicher Ausweg gewählt hatte. Jedes mahnende Gefühl wurde mit allen Perspektiven, die dieser Kontakt mit sich brachte, immer wieder schnell von ihr geschoben. Ein trauriges Relikt ihrer Vergangenheit.

Die eisige Luft, die über New York City hing, schien all die Abgase und schlechten Gerüche eingefangen zu haben. Jeder Atemzug stach in der Lunge und wirkte dennoch belebend, das Thermometer hatte die Plusgrade bis vorhin jedenfalls nicht geknackt, als Ellis ihr Hotel verlassen hatte um sich die Füße zu vertreten.
Ärgerlich, dass sie überhaupt hatte einchecken müssen, doch die Nachricht, dass ihr geschäftlicher Termin auf den Folgetag verschoben worden war, hatte sie erst erreicht als sie bereits in Manhattan angekommen war. Und nun den Rückweg antreten um morgen erneut zurück in den Big Apple zu kommen machte wenig Sinn. Eine Auszeit von zu Hause war ohnehin nicht verkehrt, etwas anderes sehen und sich von der Metropole inspirieren lassen, bis ihre Sinne überreizter waren als die eines Kleinkindes bei Toys’R’Us.
Der Hudson River rauschte mit unnachgiebiger Gewalt durch sein Flussbett, das Rauschen erfüllte die Ohren der Autorin und ließ kaum Raum für die übliche Geräuschkulisse, die die Stadt sonst mit sich brachte. Der Verkehr, Sirenen, Stimmengewirre. Das Knarzen von Fahrrädern und Rollen auf den Wegen neben einem, das Stapfen von eifrigen Joggern, das Bellen von Hunden und der betäubende Lärm von schreienden, quengeligen Kindern, deren Wangen und Nasen in der frostigen Luft tiefrot angelaufen waren.
Die Spielplätze, die sie passierte, waren wie ausgestorben. Vermutlich wären die zarten Kinderhände einfach an den Ketten der Schaukeln festgefroren, doch der sanfte Nebel ließ sie Spielgeräte nun wirken wie Requisiten eines Horrorfilms. Geleitet von einem einfachen, naiven Instinkt nach alten Zeiten steuerte Ellis einen der vereinsamten Spielplätze an und ließ sich auf einer der Schaukeln nieder, das Gerüst knackte unter dem neu aufgelegten Gewicht leise auf.
Mit leicht schwingender Beinbewegung setzte sich die Schaukel leicht in Bewegung, damit Ellison nicht an Ort und Stelle einfror, dennoch zog sie sich die Handschuhe aus und zog ihr Handy aus der Manteltasche.
“Komm schaukeln“ waren die einzigen Worte, die sie in den übersichtlichen Chatverlauf aus Weihnachtswünschen und einem obligatorischen, kitschigen Bild zum Neujahr mit Emrys ausgetauscht hatte, seit sie ihm ihre Nummer in Harvard anvertraut hatte. Es folgte lediglich ihr Standort und kurz darauf noch ein “Wenn du dich traust“. Ellison rechnete nicht damit, dass Emrys wirklich hier auftauchen würde, doch sie konnte der Versuchung nicht länger widerstehen ihm zu schreiben, wenn sie schon in seiner Heimatstadt war. Sie hatten sich ja nun oft genug in ihrem Territorial gesehen, vielleicht hatte er ja tatsächlich Zeit. Ein nervöses Kribbeln setzte ein, plötzlich ausgelöst durch die Sorge, dass er gar nicht antworten oder ihr absagen würde. Es war erst früher Nachmittag, womöglich arbeitete er auch noch oder war gar nicht im Land. Aber dann wiederum… das Schicksal hatte ihnen schon das ein oder andere Mal auf die Sprünge geholfen.
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#2


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,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Die Feiertage hatten Urlaub für Emrys bedeutet. Gezwungenermaßen; ihm lag nicht sonderlich viel an Weihnachten, er hätte auch gearbeitet; aber sein Stab hatte die freien Tage verdient und so hätte er es niemals gewagt, jemanden an den Feiertagen ins Büro zu zitieren. So hatte er die freien Tage mit Sport, lesen und leckerem Essen verbracht und war froh gewesen, als das ganze Bla Bla um Weihnachten und Neujahr endlich vorbei war. Nun noch die kommenden Tage mit ihren schrecklichen Neujahreswünschen (er hasste es, wenn alle möglichen Leute ihm ein frohes neues Jahr wünschten. Man wünschte sich doch auch keinen schönen neuen Monat oder eine schöne neue Woche, was sollte das alles?) hinter sich bringen, dann ging alles endlich wieder seinen gewohnten Gang.
Natürlich hatte er in seinen freien Tagen viel Zeit gehabt, an Ellis zu denken. Über Ellis nachzudenken. Über... das, was zwischen ihnen war, was auch immer es war; denn kategorisieren konnte er es nicht. Sie waren keine Bekannten, aber auch keine Freunde, irgendwie eine Mischung daraus und dennoch gleichzeitig auch mehr. Emrys war durcheinander, aber das war ihm nicht unangenehm. Er mochte es, dass es für Ellis und ihn keine passende Schublade gab. Sie waren, was sie waren, und wohin sich das Ganze entwickelte, würde die Zeit schon noch zeigen, wenn ihr danach war.

Emrys ertappte sich dabei, wie er seinen Gedanken nachhängend aus dem Fenster seines Büros starrte. Vor ihm lag ein Stapel Papiere; Dinge, die er unterzeichnen musste, eine Rede, die er Korrektur lesen musste. Aber er dachte an Ellis. Sie hatten ein paar Grüße über die Feiertage ausgetauscht, aber weiter nicht groß miteinander Kontakt gehabt. Wie hatte sie wohl Silvester verbracht? Hatte sie gefeiert, war sie mit Freunden aus gewesen? Oder hatte sie, so wie er, einen ruhigen Abend zuhause genossen?
Energisch klopfte er auf den Papierstapel vor sich. Konzentrier dich, Westbrook! Durch Tagträumerei würde er es nicht weit bringen. Er musste sich auf die Arbeit konzentrieren, auf seine bevorstehende Kandidatur, auf seine Karriere. Für zwanzig Minuten schaffte er es, konzentriert zu arbeiten, dann wurde er durch seine Sekretärin gestört. Noch während er mit ihr sprach, klingelte das Telefon, dann gab es ein Meeting, und anschließend war Lunchpause. So drehte sich das Hamsterrad des heutigen Tages stetig weiter, bis sein privates Handy vibrierte und Emrys zwei einfache Worte las: Komm schaukeln. Emrys zögerte nicht eine Sekunde. "Bitte entschuldigen Sie", unterbrach er Verwaltungsminister Conrady, mit dem er gerade telefonierte. "Es ist mir sehr unangenehm, aber da schneit gerade ein Termin rein, zu dem ich sofort aufbrechen muss. Wir sind uns aber im Grund einig, oder? Gut, dann bitte ich Kelly, mit Ihrer Sekretärin einen Termin auszumachen, um alles Weitere zu besprechen. Was halten Sie von einem Lunch, selbes Restaurant wie das letzte Mal? Gut, ich freue mich, Conrady. Bis dann!" Er legte auf, schnappte sich seinen Mantel und nahm sich nicht einmal die Zeit, die Tür seines Büros zu schließen. "Kelly, ich muss dringend weg. Sag die restlichen Termine für heute bitte ab, ja?"
"Aber...", setzte seine Sekretärin Kelly an, doch Emrys rauschte einfach an ihr vorbei. "Danke, du bist ein Schatz!"
Weg war er.

In der Tiefgarage sprang er in seinen Wagen und gab dem Chauffeur Anweisung, wohin er wollte. Während er sich auf den bequemen, ledernen Sitzpolstern zurücklehnte, kam eine zweite Nachricht. Wenn er sich traute - ha! Natürlich traute er sich. Rasch tippte er eine Antwort: Sprich deinen Wunsch drei Mal laut aus, vielleicht geht er dann in Erfüllung! Dann steckte er sein Handy ein und blickte aus dem Fenster, hinaus in das eiskalte New York. Unbändige Freude stieg in ihm auf. Er liebte die Unberechenbarkeit dieser Frau. Sie riss ihn aus seiner Routine, die er zwar liebte, aber ihm manchmal auch ziemlich eintönig vorkam. Genau so, wie ihm der Verkehr heute furchtbar schleppend vorkam, aber es vergingen tatsächlich nur etwas mehr als zwanzig Minuten, ehe der Wagen hielt. Emrys sprang aus dem Auto. "Machen Sie ruhig für heute Feierabend, Ron. Ich nehme mir später ein Taxi." Wer wusste schon, wie lange Emrys nun mit Schaukeln verbringen würde... Er ließ seinen treuen Chauffeur ungern eine unbestimmte Zeit warten. Zwar würde er dafür bezahlt werden, aber bei den Temperaturen möglicherweise stundenlang in einem auskühlenden Auto zu sitzen, war unmenschlich. Zum Glück gab es ja jede Menge Taxen in New York.
Emrys zog seinen Mantel fester um sich und betrat den Park. Aus seinen Manteltaschen kramte er Handschuhe hervor und streifte sie sich über. Die Schaukeln entdeckte er auf Anhieb und auch die schmale Gestalt, die bereits schaukelte. Grinsend trat er auf sie zu. "Du kommst extra zum Schaukeln nach New York? Ich wusste gar nicht, dass unsere Spielplätze so viel besser in Schuss sind als die bei euch in Boston." Er lehnte sich an das Gestänge der Schaukeln und betrachtete Ellis einen Augenblick lang. Etwas stieg in ihm auf und er stellte fest: Verdammt, er hatte sie tatsächlich vermisst!
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#3


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,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Sprich deinen Wunsch drei Mal laut aus, vielleicht geht er dann in Erfüllung! Der Blick aufs Handy entlockte ihr ein keckes Auflachen, ein Kind, das sich dem Spielplatz eben wieder genähert hatte, blickte irritiert auf und kehrte doch lieber wieder um. Scheinbar trug eine lachende, schaukelnde Frau im eiskalten Nebel nicht dazu bei, dass sich dieser Spielplatz heute noch großer Beachtung der Kinder erfreuen können würde. Das war kein Wunsch, das war ein Befehl, tippte sie noch schnell als Antwort und ertappte sich selbst dabei wie ihr Grinsen für einen Moment so breit wurde, dass es sich fast unwirklich anfühlte. Schnell schob sie das Smartphone wieder in die Manteltasche und umgriff die Ketten der Schaukel wieder, wippte vorsichtig vor und zurück.
Er würde doch nicht wirklich hier auftauchen, oder? Es war nachmittags, er war berufstätig - offensichtlich. Und Emrys würde wohl kaum alles stehen und liegen lassen um wirklich auf einem Spielplatz rumzuhängen. Denn… was wäre das schon für ein Zeichen?

Sich erneut ihren Gedanken hingebend blendete Ellis die ihre Beine hinauf kriechende Kälte einfach aus, ihr Hirn war ohnehin damit beschäftigt das Kribbeln in der Magengegend einsortieren zu können. War es Vorfreude? Oder gar Nervosität? Darüber, dass seine Antwort gar nicht beinhalten sollte, dass er womöglich hier auftauchte?
Eine sich dem Spielplatz nähernde Gestalt erregte die Aufmerksamkeit der Autorin in Rekordzeit und mit jedem Schritt, den der Mann sich näherte, fiel es Ellis schwerer das Lächeln auf ihren Lippen in den Griff zu bekommen. Er war es wirklich?! Im Prinzip sah er aus wie bei ihren vorherigen Treffen, Anzug und Mantel, ein Geschäftsmann rund um die Uhr? „Nah“, antwortete Ellis und zuckte mit den Schultern, „auf den Spielplätzen in Boston hab ich Hausverbot. Vandalismus, du weißt schon.“ Ihr freudiger Ausdruck fand seinen Spiegel auf seinen Gesichtszügen wider, da war sich Ellis sicher. Zumindest fast. „Und wenn mein herausragendes Charisma schon nicht reicht damit du dich bei mir meldest, muss ich wohl zu besseren Argumenten greifen.“ Ein minimaler Vorwurf, dass er sich nicht gemeldet hatte, oder war der in den vergangenen Wochen vielleicht gar nicht in Boston gewesen? Ellis ruderte etwas zur Seite und stieß die freie Schaukel neben ihr an als Zeichen, dass Emrys ruhig Platz nehmen sollte.

„Und, hast du mich vermisst?“ Sprach sie damit wohl seinen Gedanken aus und drehte sich auf ihrer Schaukel etwas um ihn ansehen zu können. „Kommst du immer im Streberoutfit auf den Spielplatz oder hab ich dich aus der Audienz beim Präsidenten gerissen?“ Ellis schwang die Beine nach vorn und hinten um wieder an Schwung zu gewinnen. Die Situation war so absurd, schon wieder. Und doch so passend. „Wie geht es dir?“ Ehrliches Interesse, denn auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatte, so suggerierten ihre Taten und Worte doch wohl ebenso: Sie hatte ihn auf jeden Fall vermisst.
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#4


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,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Emrys saß im Fond des Wagens, als das Pling seines Handys den Eingang einer neuen Nachricht verkündete. Er zog das Gerät hervor, las die eingegangene Nachricht und hob eine Augenbraue an. Dieses freche Weibsbild! Ein Befehl also? Kurz überlegte er, ob er ihr antworten sollte, aber da er ohnehin fast da war, konnte er ihr die Antwort auch in Person geben. Schmunzelnd schob er sein Smartphone wieder in die Innentasche seines Mantels. Diese Frau war so erfrischend anders und bildete einen herrlichen Kontrast zu den ganzen sesselfurzenden Politikern, mit denen er tagtäglich so zu tun hatte. Warum war Politik eigentlich so scheiße langweilig? Dass es trocken war, das machte ihm nichts aus. Irgendwo liebte er das sogar. Aber dass fast nur Langweiler den Weg in die Politik fanden, war eigentlich schade. Mal so ein, zwei Leute mit komödiantischem Talent könnten eine Partei mal so richtig schön aufmischen und in Schwung bringen. Das würde sicher auch bei den Wählern gut ankommen, oder? Obwohl, die fanden ja immer was zu meckern, vermutlich würden sie dann bemängeln, dass man nicht mit genug Ernsthaftigkeit bei der Sache war.

Als Emrys kurz darauf an sienem Ziel angekommen war und den Park durchschritt, spürte er, wie er immer schneller wurde. Es zog ihn regelrecht hin zu dieser faszinierenden Frau, dieser Ellis ohne A, dieser verrückten Person, die Harvards Flure durchgespielt hatte und eine Leiche verschwinden lassen wollte. Er konnte nicht recht einschätzen, was bei ihr Ernst war und was nicht, wie ihre Gedankengänge funktionierten und was generell hinter dieser hübschen, zarten Stirn vor sich ging; aber genau das machte den Reiz für ihn aus.
"Vandalismus... Warum überrasch micht das nicht?" Emrys bekam das Schmunzeln nciht aus dem Gesicht. Und wozu auch. Und wenn er sich nicht täuschte... Dann freute Ellis sich ebenfalls, ihn zu sehen. Das sollte keine große Überraschung sein, wenn sie ihn nicht mögen würde, dann hätte sie ihn nicht hierher gelockt, aber dieser Symapthiebeweis, dieses stating the obvious, tat seinem Ego trotzdem gut. Enorm gut. Schließlich gab es nichts Schöneres als von der Person gemocht zu werden, die man ebenfalls gern hatte. Oder was das auch immer genau zwischen ihnen war.

"Dein Charisma hat mich auf jeden Fall dazu gebracht, dich zu vermissen", beantwortete er ihre Frage und griff gleichzeitig das auf, was sie kurz zuvor gesagt hatte. Ein typischer Politiker-Move. Hoffentlich nahm sie das nicht nur als scherzhaft gesagte Worte, sondern verstand die Ernsthaftigkeit dahinter. Kurz überlegte er, seine Worte noch einmal zu bekräftigen, aber er war nicht sicher, ob das nicht einen Schritt zu weit ging. Er zögerte, und schon war der Moment vorbei. Als Ellis sein Outfit kritisierte, blickte Emrys an sich herunter. "Na ja... Für gewöhnlich laufe ich barfuß in meinem Büro herum. In Badeshorts. Manchmal trage ich auch den Borat-Badeanzug. Aber für dich schmeiße ich mich jedes Mal in Schale, weißt du?" Und schon grinste er wieder, denn diese Worte waren ja offensichtlich nicht wahr.
Emrys stieß sich von dem Gerüst der Schaukel ab und steuerte die zweite Schaukel neben Ellis an. Gott, wann hatte er das letzte Mal auf so einem Ding gesessen? Kurz musterte er die Sitzfläche. Passte er da überhaupt drauf, oder war er zu breit dafür? Er war immerhin ein ausgewachsener Mann. Und war sie sauber? Sein Mantel hatte immerhin einen vierstelligen Betrag gekostet, auch wenn er ziemlich basic aussah.
"Mir geht es gut", erwiderte er, nahm schließlich platz und überlegte kurz - wie ging das nochmal? Ach ja. Abstoßen, Beine schwingen, vor und zurück. Vor und zurück. Das Gefühl, dass sich durch das Schaukeln in seiner Magengrube ausbreitete, überraschte Emrys und brachte gleichzeitig ein vages Gefühl des Kindseins in ihm hervor. "Und das ist nicht nur so eine Floskel. Im Moment kann ich mich nicht beschweren... und jetzt gerade sowieso nicht." Er zwinkerte ihr verschmitzt zu. "Und wie geht es dir?" spielte er ihr die Frage zurück und war genauso an einer aufrichtigen, echten Antwort interessiert, wie sie es hoffentlich gewesen war.
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#5


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,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


„Wir kennen uns noch kaum und trotzdem kann ich dich schon nicht mehr überraschen“, stellte Ellis unumwunden fest und ließ die Mundwinkel ehrlich getroffen etwas sinken. „Dabei gebe ich mir so viel Mühe mysteriös und undurchschaubar zu sein.“ Das Lächeln kehrte im nächsten Augenaufschlag zurück, dabei meinte sie ihre Worte allesamt gar nicht besonders ernst. Es lag keine große Intention dahinter für Emrys rätselhaft zu bleiben, es war einfach das Ding zwischen ihnen, auf das sie sich kommentarlos geeinigt zu haben schienen. Die gegenseitige Freude über das Wiedersehen war offensichtlich, so sehr, dass die sorgsam verdrängte Frage was sie füreinander waren schlagartig zurück in Ellis Verstand kehrte, egal wie gern sie es vermied sie beide mit einem Label zu versehen. Vor allem deswegen, weil sie sich so vehement dafür entschieden hatte keinen Mann mehr in ihr Leben zu lassen, zu schlecht die Erfahrungen, die sie im Laufe ihres Lebens gemacht hatte.
„Mein Charisma, hm?“ Ellis machte ein gelangweiltes Gesicht. „Ich dachte du würdest meine Trinkfestigkeit mehr schätzen als Charisma, naja.“ Aber was erwartete man von jemandem der im Streber Outfit auf den Spielplatz kam? Apropos. „Wo arbeitest du, Google?“ Haltstopp, das wollte sie ja gar nicht so genau wissen. Oder doch? Sie wandte den blick kurz ab und überspielte das zögerliche Nachdenken indem sie erneut Schwung holte um nicht zu erfrieren. „Beim nächsten Mal komm bitte im Borat-Badeanzug, ich vermute es steht dir unverschämt gut.“ Vermutlich genauso wie Badeshorts, Karibikhemden oder auch ein Kartoffelsack. Sein markantes Gesicht, das weltmännische Auftreten, die großen braunen Augen… Emrys zählte zu den Personen, die von innen so strahlten, dass nichts sie entstellen konnte. Ein Anzug wie er ihn trug tat natürlich nicht weh, hier trafen sich wohl mehr Damen als man ihrem Geschlecht zugestehen wollte: Männer in Anzügen - leider sexy.

Amüsiert beobachtete Ellis wie misstrauisch Emrys die Schaukel musterte. „Beißt nicht“, murmelte sie leise und vermutete, dass Emrys eines dieser Kinder gewesen war, die aus Sorge vor Keimen nicht mit Dreck hatten spielen wollen. Wie falsch sie doch lag hätte sie in diesem Moment niemals gedacht. Sein Zugeständnis, dass ihre Anwesenheit dafür sorgte, dass es ihm gut ging - das meinte er doch? - ließ Ellis erneut zögern, wenngleich ihr Lächeln nichts davon zu verraten schien. Diese leise, dezente Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr klar machte, dass sie hier ihrer beider Zeit verschwendete weil sie ohnehin niemals eine Beziehung eingehen könnte und sie beide unweigerlich verletzen würde… oh wie leicht sie doch zu ignorieren war in Emrys Gegenwart. Denn mal im Ernst, er kam hierher um zu schaukeln, das machte man nicht für eine flüchtige Bekanntschaft, nicht für jemanden den man alle paar Monate auf ein obligatorisches Bier traf.
„Mir geht es gut“, antwortete Ellis ebenfalls ehrlich und überwarf den Zweifel, ihren zweiten Grund für ihren Aufenthalt in der Metropole für sich zu behalten. „Ich muss die Nachbarschaft hier auschecken, gucken wie kriminell hier alles ist… Ich dachte du kannst mir vielleicht helfen? Mit den Spielplätzen zu starten scheint mir eine gute Idee zu sein, die Kinder von heute sind ja schließlich die Einbrecher von morgen.“ Was faselte sie da? Sie war doch sonst nie nervös? „Ich ziehe hierher, zumindest… teilweise“, fuhr sie fort und schaffte es kaum das auf einmal in ihrem Kopf entstehende Gedankenchaos zu sortieren. Gut, dass ihre Wangen von der Kälte ohnehin rot geworden waren, so fiel wenigstens nicht auf, dass Emrys Anwesenheit zu diesem Zustand noch weiter beitrug. „Für die Arbeit, du weißt schon. Ein bisschen hier leben, ein bisschen in Boston…“ Wieso war sie so nervös, das passierte doch sonst nicht? Ellis Füße trafen den Boden, wie ein Kind, dem seine Schuhsohlen nichts bedeuteten, schliffen eben jene über den Erdboden und sorgten dafür, dass ihr Schaukeln ausgebremst wurde. „Unterhalten wir uns heute das erste Mal nüchtern?“ Die Abwesenheit von Alkohol - so ungesund das klang und letztendlich auch war - war der grundlegende Unterschied zu ihren vergangenen Treffen. Und es war natürlich ein Leichtes sich selbst einzureden, dass nur das Schuld daran trug, dass Ellis Nerven nicht so entspannt waren wie sonst. Ein amüsiert-schockierter Gesichtsausdruck legte sich auf die Züge der Autorin. „Es sei denn du bist mir einen Drink voraus, wer barfuß und in Shorts arbeitet der hat sicher eine eigene Cocktailbar im Büro.“
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#6


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,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


"Warum möchtest du denn mysteriös und undurchschaubar sein?" fragte Emrys schmunzelnd nach. Wirkte er auch so? Immerhin hielten sie sich beide bislang sehr bedeckt, was ihre privaten Bereiche betraf. Das machte ja irgendwie den Reiz aus, aber wie lange noch? Würden sie es irgendwann überdrüssig sein, so wenig übereinander zu wissen? Wobei dadurch ja durchaus keine Oberflächlichkeit entstand. Im Gegenteil, manchmal gingen sie sehr in die Tiefe, was vielleicht nicht in der Form geschehen würde, wenn sie mehr Persönliches übereinander erfuhren. Emrys ließ diesen Gedanken in seinem Kopf herumwandern und fragte sich, ob er so überhaupt Sinn ergab, ließ ihn aber erst einmal so stehen.
"Sagen wir einfach, ich schätze deine charismatische Trinkfestigkeit, wie klingt das?" fragte er, beide Eigenschaften vereinend. "Dein Charisma habe ich auf jeden Fall auf den ersten Blick erkannt, deine Trinkfestigkeit erst auf den zweiten Blick. Zum Glück war es nicht andersherum." Hätte man ihr ihre Trinkfestigkeit direkt angesehen, hätte das wohl eher für ein Alkohoproblem denn eine positive Eigenschaft gesprochen. Er beobachtete seinen Atem, der als kalte Nebelwolke vor seinem Gesicht schwebte, ehe er sich auflöste, und überging die Frage, wo er arbeitete. Er glaubte ohnehin nicht, dass sie darauf eine Antwort haben wollte. Worauf er aber eingehen konnte, war ihr Wunsch, ihn im Borat-Anzug zu sehen. "Der Anzug steht mir tatsächlich unverschämt gut. Ich sag dir was: Wenn du in einem kommst, dann mache ich das auch. Gleiches Recht für alle." Der Gedanke, wie sie bei eisigen Temperaturen in Borat-Badeanzügen durch den Schnee hüpften, war schon sehr lustig. Wobei sie dann vielleicht eher ein wärmeres Örtchen für ein Treffen finden sollten... Aber warum dachte er überhaupt über sowas nach? Als ob sie das wirklich machen würden. Doch Ellis hatte so etwas an sich, sie brachte ihn dazu, über Albernheiten nicht ernsthaft nachzudenken, aber sie sich auszumalen. Das gelang auch nicht jedem, Emrys war ja eher der pragmatische Typ und hing selten seinen Gedanken nach. Er mochte es, dass Ellis ihn immer wieder dazu brachte, neue Wege zu gehen - sei es gedanklich oder in seinem Handeln. Wann war er das letzte Mal auf einem Spielplatz gewesen?

Hatte Ellis gerade gesagt, die Schaukel würde nicht beißen? überlegte Emrys, als er sich abstieß und Schwung aufnahm. Es fühlte sich auf bizarre Weise vertraut und fremd zugleich an; als käme eine lange vergrabene Kindheitserinnerung hoch. Nun, so war es ja in gewisser Weise auch. Nicht, dass Emrys sich als exzessiven Schaukler in Erinnerung hatte, aber wie jedes Kind hatte auch er ab und na gerne geschaukelt. Das Kribbeln in seinen Eingeweiden war ungewohnt und überraschend. Ebenso wie Ellis nächste Worte. Sie checkte die Nachbarschaft auf ihre Kriminalitätsrate ab? "Hast du schon wieder eine Leiche im Kofferraum?" hakte er nach und zog eine Augenbraue hoch. War er am Ende gar nicht zum Schaukeln hergebeten worden, sondern um eine Leiche verschwinden zu lassen? Doch dann offenbarte sie ihm, dass sie hierher ziehen würde. Teilweise, was auch immer das bedeutete. Es reichte auf jeden Fall aus, um eine unbändige Freude in Emrys aufsteigen zu lassen, die ihn selbst total überraschte. Gleich hinter der Freude marschierte die Furcht in ihm heran. Wenn sie hier lebte - wenn auch teilweise - , wie lange würde es dauern, bis sie erfuhr, dass er ein Politiker war? Irgendwie fürchtete er, ihr Bild von ihm würde sich ändern, wenn sie das wusste. Würde sie ihn dann immer noch gern haben? Und wann, verdammt, war ihm so wichtig geworden, dass sie dies tat?

Als sie die Schaukel abbremste, hörte er auf mit den Beinen zu schaukeln, so dass er ebenfalls langsamer wurde - wenn auch nicht ganz so abrupt wie Ellis. Ihre Frage geisterte durch seinen Kopf und er nahm sich die Zeit, darüber genauer nachzudenken. „Unterhalten wir uns heute das erste Mal nüchtern?“ Hinter dieser einfachen Frage schien so viel mehr zu stecken als nur die einfache Frage an sich. Es fühlte sich an wie ein Wendepunkt in ihrer Beziehung. Bekanntschaft. Irgendwas dazwischen. Was es auch immer war. Emrys verspürte Angst, dass es sich zum Negativen entwickelte, dass es sich so veränderte, wie sie beide es vermutlich nicht wollten. Aber vielleicht war es an der Zeit, mutig zu sein.
"Nein, keine Cocktailbar. Ein Whiskey-Regal, aber das wird nur selten angerührt. Ich habe dir nichts voraus." Einen Augenblick lang sah er sie wortlos an, tauchte mit seinen Augen in ihre ein. Mutig sein. Einfach mutig sein. "Wie wäre es heute lieber mit einer heißen Schokolade?" fragte er und gab damit zu, heute nüchtern mit ihr bleiben zu wollen. Zum ersten Mal, seit sie sich kannten. Sein Herz klopfte tatsächlich ziemlich laut, während er darauf wartete, was Ellis zu seinem Vorschlag sagte.
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#7


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am 11.01.2021


Tja, warum wollte sie mysteriös und undurchschaubar sein? Das war eine mehr als berechtigte Frage über die Ellis erst einmal hätte nachdenken müssen bevor sie sie beantwortet hätte - oder eben nicht. Sie kannte die Wahrheit, auch wenn sie sich diese nicht unbedingt eingestehen wollte. Emrys löste etwas in ihr aus, von dem sie wusste, wie gefährlich es für sie war oder zumindest sein könnte. Die Illusion sich auf sichere Distanz halten zu können war eben auch nur das, eine Illusion. Wie sie jetzt zunehmend feststellte.
„Das klingt ein wenig traurig aber überaus akkurat“, stellte sie gequält grinsend fest, charismatische Trinkfähigkeit war nichts was auf ihrer Vita stand aber durchaus zutreffend war. Und es galt ja irgendwie auch für ihn. Doch was sie wirklich viel eher zum Schmunzeln brachte war die Tatsache, dass er - wenn auch nur vollkommen beiläufig - vom zweiten Blick sprach den er ihr geschenkt hatte. Es mochte bloß eine dämliche Redewendung gewesen sein, doch etwas daran ließ Ellis fast ein wenig hoffnungsvoll zu ihm aufblicken, allerdings nur bis zu dem Moment in dem er ihr den Ball zurückspielte in Borats neongrünem Badeanzug aufzutauchen. „Ja, das… wird nicht passieren, im Gegensatz zu dir sehe ich nicht in vermutlich allem einfach gut aus.“ War vielleicht etwas zu offen, ehrlich und direkt aber bitte, als ob er nicht wusste, dass er einfach gutaussehend war. Und auf keinen Fall würde sie so einen Fummel tragen, sie hatte drei Kinder bekommen und war nicht auf den Zug der Homeworkouts aufgesprungen, sie mochte definitiv nicht hoffnungslos entstellt sein und auch keine schlechte Figur haben, aber nein.
Was war das überhaupt schon wieder für ein Gespräch?

Ob es nun die Tatsache war, dass er wirklich schaukelte oder ob er die Leiche im Kofferraum erwähnte, Ellis musste unwillkürlich auflachen und unterband es nicht im Keim, wie noch damals im Pub. „Hat in New York City nicht wenigstens jeder Zweite eine Leiche im Keller? Ist mir hier zu mainstream.“ Wie immer wurde die bittere Wahrheit ihrer Vergangenheit schnell verdrängt, bekam keinen Platz in ihren Gedanken. Da war tatsächlich gerade nur Raum für diese eine Person die da neben ihr für sie schaukelte. Auch wenn er dabei wirklich alles andere als unglücklich aussah. Dass er jedoch nichts weiter dazu sagte, dass sie herziehen würde irritierte sie dann doch. Hatte sie eine imaginäre Spielregel zwischen ihnen gebrochen von der sie nichts gewusst hatte? War in dieser Metropole nur Platz für einen von ihnen? Das Ausbremsen ihrer Schaukel war mitsamt ihrer Feststellung über die Absenz von Alkohol zumindest ein deutlicher Cut im Gespräch zwischen ihnen, sodass ihre kurz aufblühende Nervosität bezüglich seiner ungewöhnlichen Wortkargheit nicht weiter auffiel.
Die Blicke der beiden trafen sich und für einen gar nicht so knappen Moment hatte Ellis den Eindruck, dass sie einander gerade anders, fast schon zum ersten Mal wirklich ansahen. Es war nicht mehr nur eine Festivität die sie zueinander gebracht hatte, nicht der Pub wo man sich für gewöhnlich auf einen Drink traf, es war der einfache Wunsch gewesen, Zeit miteinander zu verbringen. Gut, dass sie noch immer auf der Schaukel saß, doch auch so spürte sie noch immer wie weich ihre Knie wurden und wie ihr das Lächeln kurz aus dem Gesicht gewischt wurde, weil sie sich schrecklich ertappt fühlte. Auf eine Art und Weise, die sie längt für verloren geglaubt hatte, die so weit weg von ihr war, dass es sich anfühlte als würde sie es zum ersten Mal spüren. Shit.

„Ich dachte schon du würdest niemals fragen“, antwortete Ellis schließlich leiser als sie beabsichtigt hatte und gab damit gleichzeitig preis, dass sie den Wunsch nach dieser Art von Treffen wohl schon länger gehegt hatte als ihr selbst bewusst war, sowie der Tatsache, dass ihr die Aufregung kurz die Stimme genommen hatte. Reiß dich gefälligst zusammen nahm sie sich gedanklich selbst in die Mangel und stand dann von ihrer Schaukel auf, glücklicherweise ohne sich aufgrund weicher Knie im feuchtkalten Sand lang zu machen.
Tatsächlich befand sich ein kleiner Getränkewagen nur ein kleines Stück neben dem Spielplatz und säumte den Spazierweg des Parks, in dem sie sich befanden. Und obwohl sie doch sonst nie auf den Mund gefallen war fiel Ellis plötzlich kein einziges Wort mehr ein, kein einziges Gesprächsthema, egal wie albern. „Zwei Kakao“, bestellte sie und stolperte fast schon über die Wörter, so hektisch hatte sie sie gesprochen, scheinbar einfach froh etwas zu haben, das sie sagen konnte. Die Becher wurden ihnen angereicht und etwas planlos sah Ellis in beide Richtungen und dann wieder zu Emrys. „Ich hab keine Ahnung wo wir hier sind“, gestand sie und musste wieder lächeln. „Bitte, zeig mir deine schöne Stadt und wo sich die coolen Kids hier treffen, damit ich weiß wo ich bald rumhängen kann.“ Ah, da war das dämliche Geplänkel doch wieder.
„Emrys“, konnte sie dann aber doch schon wieder nicht an sich halten und sah im Laufen dezent zerknirscht zu ihm auf. „Ist es merkwürdig, dass wir nichts voneinander wissen?“ Sie würden noch ewig um auf Zehenspitze um diese Frage herum tanzen und Ellis würde vermutlich innerlich zerbersten, wenn ihre Treffen so weiterliefen. Sie genoss es, dass sie nur so wenig übereinander wusste, so hatte sie immerhin den Eindruck, dass sie sich von seinem Wesen bisher ein sehr unverblümtes Bild hatte machen können. Doch wenn nicht einer von ihnen den Elefant im Raum ansprach, wie würde das hier dann weitergehen? „Ich meine, ich würde dich jetzt anrufen um eine Leiche verschwinden zu lassen oder um Frankenstein neu zu diskutieren, aber was wenn ich ein neues Auto kaufen muss? Oder Aktien kaufen will? Oder eine Wohnung hier finden muss?“ Sie sah ihn mit großen, fragenden Augen an, schüttelte den blonden Lockenkopf dabei fast als wäre es von höchster Not, dass sie ganz genau jetzt wissen musste, in welchem Notfall sie seine Kompetenzen nutzen könnte. „Woher soll ich wissen ob du dann der Richtige bist?“
Und das war eine Frage die sie sich in womöglich ganz anderer Hinsicht bereits gestellt hatte.
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#8


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am 11.01.2021


"Findest du, das klingt traurig?" fragte er ehrlich interessiert und auch ein wenig überrascht nach. Trinkfestigkeit bedeutete ja nicht automatisch, dass man eine Saufnase war, es bedeutete nur, dass man nicht bereits nach dem zweiten Glas unterm Tisch lag. Ihr gequälter Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht. Er wollte sie nicht dazu bringen, so zu gucken. Er wollte sie lächeln und scherzen sehen, mit einem herausfordernden Blitzen in den Augen, so wie es ihm gegenüber oft der Fall war. Aber würde er dafür wirklich einen Borat-Anzug tragen müssen? Oh, bitte nicht. Er war zwar fit und trieb regelmäßig Sport, aber er war eben keine zwanzig mehr.
"Ich wage wirklich zu bezweifeln, dass du mich in diesem Anzug sehen willst... Beziehungsweise, ob du diesen Wunsch nicht bereuen würdest. Es sollte dir klar sein, dass du die Bilder nie wieder aus dem Kopf bekommen wirst, was nicht unbedingt etwas Positives ist." Allein der Gedanke an diese Bilder war so absurd wie die ganze Unterhaltung es ja auch war. Doch vielleicht sollte er sich zur Sicherheit so ein Ding besorgen - vielleicht gab es ja mal die Gelegenheit, sich ihr wirklich in dem Anzug zu präsentieren und sie zum Lachen zu bringen. Um dieses Lachen zu hören, würde er so Einiges tun. Ob es wirklich das Tragen dieses neongrünen Hauchs von Nichts sein würde, ob er sich das wirklich trauen würde, konnte er momentan noch nicht absehen.

Das befreite Auflachen, welches er ihr kurz darauf entlockte, erfreute sein Herz. Es war das schönste Geräusch, das er je gehört hatte. Die Frage nach den Leichen im Keller versetzte ihm dagegen einen leichten Stich - denn unwahr waren ihre Worte nicht. Er selbst hatte ja auch so seine Leichen im Keller. Seine Vergangenheit, die er stets mit aller Macht verdrängte. Seine berufliche Tätigkeit, die er Ellis noch nicht offenbahrt hatte. Da waren sie schon, seine zwei Leichen. "Ich kann natürlich nur für mich sprechen, aber ich denke, so im Schnitt kommt das hin." Er zuckte mit den Schultern. "Die einen haben die Leichen im Keller, die anderen im Kofferraum. Die Letzteren sind auf jeden Fall leichter loszuwerden, da sie ja schon mobil transportiert werden können." Es war so viel einfacher, weiter absurdes Zeug zu reden statt das zu sagen, was ihm wirklich auf der Zunge lag: Dass er sich darüber freute, dass sie nach New York zog. Und wenn es nur so halb war. Ob sie sich dann öfter sehen würden? Die Macht, mit der er sich genau das wünschte, überraschte Emrys. Was war nur los mit ihm? Was hatte diese Frau bloß an sich, dass er sich so nach ihrer Nähe sehnte? Er kannte sich so nicht. Aber irgendwie gefiel es ihm. Menschen waren doch von Natur aus soziale Wesen, und Emrys ging nun schon geraume Zeit allein durchs Leben. Er sehnte sich nach Nähe, nach jemandem, zu dem er abends heimkommen konnte. Eine Person, die ihn so gut kannte wie niemand sonst.

Na gut, davon ihn gut zu kennen war Ellis zugegebenermaßen noch weit entfernt. Zumindest, was seine hard facts anging. Doch sie kannte seinen Charakter, zumindest Teile davon. Die wichtigen Teile. Die guten in ihm. Ihr den Rest zu zeigen, würde verdammt viel Überwindung kosten. Ob sie ihn noch mögen würde, wenn sie den ganzen Emrys kannte? Politiker war ja kein schlechter Job, er war ja kein Zuhälter oder Drogendealer, er war jemand, mit dem man sich im Allgemeinen trotz (oder gerade wegen) seines Jobs gerne umgab. Und doch... Es war, als hätten sie den idealen Augenblick für den Austausch solcher Informationen verpasst, und nun war die Hemmschwelle einfach hoch. Gedankenversunken folgte Emrys seiner Begleitung zum Getränkewagen und er bezahlte sie rasch, ehe Ellis eventuell auf die Idee kam, dies zu tun. Er war gerne ein wenig altmodisch in der Form, dass er eine Frau zu etwas einlud, ihr die Tür aufhielt, sie nach Hause brachte oder ihr den Stuhl zurecht rückte.
„Also, nur wenige Straßen von hier befindet sich das Eiskrem-Museum. ‚Ein sensorisches Abenteuer für Naschkatzen‘“, zitierte er den Slogan des Museums. „Da sind vielleicht nicht unbedingt die coolen Kids, aber es ist durchaus eine Erfahrung wert. Und ja, man darf die Eiskrem probieren.“ Emrys schmunzelte, als er so neben ihr herging. Das Museum würde ihr bestimmt gut gefallen. „Ansonsten fürchte ich, dass ich etwas zu alt bin um zu wissen, wo die coolen Kids abhängen. Es gibt eine Rollschuhbahn in Williamsburg, da bin ich als junger Mann gerne mal gewesen. Ob die aber noch als cool gilt… Da bin ich ehrlich gesagt etwas überfragt.“

„Ist es merkwürdig, dass wir nichts voneinander wissen?“ wollte Ellis von ihm wissen. Emrys dachte über diese Frage einen Augenblick nach. „Ich würde sagen, es ist ungewöhnlich. Und genau das hat gerade zu Beginn den Reiz ausgemacht, nicht wahr?“ Er hielt wieder inne, sortierte innerlich seine Gedanken und Worte. „Und natürlich beschäftigt mich die Frage, wohin das hier führt. Was das ist, das zwischen uns. Vom Gefühl her würde ich sagen, es ist Zeit, das Ganze auf die nächste Stufe zu heben – und das geht nur, wenn wir uns mehr öffnen. Mehr preisgeben.“ Himmel, ehrlich und direkt sein war gar nicht so einfach. Aber politisches, charmantes aber nichtssagendes Bla Bla war gerade nicht das Richtige. Ellis hatte mehr verdient. „Und das macht mir eine Scheiß-Angst“, gab er schließlich zu und atmete tief durch, denn dieses Geständnis fiel ihm richtig, richtig schwer, das bemerkte Ellis sicherlich. „Ich möchte das zwischen uns nicht zerstören. Aber ich möchte jemand sein, den du anrufst, wenn du eine Wohnung suchst. Oder ein Auto kaufst. Wobei ich dir zu Letzterem hier in New York abraten würde, selbst in den Randbezirken ist der Verkehr zu den Stoßzeiten die Hölle.“
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#9


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Die Leichtigkeit mit der er offen vor ihr über die Leichen im Keller sinnierte ließ nicht zu, dass das Schmunzeln erneut aus Ellis Gesicht verschwand. Welche Geheimnisse er wohl hütete, dass sie diesen Titel verdienten? Ob sie vergleichbar waren mit ihren? Hoffentlich nicht, aber dann wiederum… Ellis verlor sich so sehr in dem Gefühl, welches Emrys Präsenz mit sich brachte, dass sie eben genau jene Sorgen von sich geschoben hatte. Dass sie niemanden mehr in ihr Leben hatte lassen wollen, der sie in eine Situation brachte wie ihr Ex-Mann, jemand der ihr so gefährlich nahe kommen konnte, jemand der die allerschlechteste Seite an ihr herauf projiziert hatte. Doch ihre Unterhaltungen, ihr Miteinander, seine Blicke und sein Lachen, all das machte es so einfach zu vergessen, dass das hier eigentlich gar keine Option war. Gab sie sich hier nur einer Illusion hin? War es das?
Dabei war sie so nicht, sie war eine entschlossene Person, die keine Zeit ungenutzt verstreichen lassen wollte. Einmal abgesehen von den Abenden vor dem Kamin, die man sicher effektiver nutzen könnte indem sie arbeitete statt sich das Weinglas drei Mal zu füllen, aber langweilige Unterhaltungen oder Kontakte strich sie aus ihrem Leben, sie schätzte die Zeit anderer Leute zu sehr um ihnen jene zu rauben. Sie wusste sehr genau was das hier war - oder was es sein könnte. Wenn sie es denn wollten.
„Irgendwie kann ich mir dich nicht in einem Eiskrem Museum vorstellen“; gab sie ehrlich zurück und sah skeptisch zu ihm auf, auch wenn er nur wenige Zentimeter größer war als sie. Sie nippte an ihrem Kakao und strich sich mit dem Handrücken kurz über die Mundwinkel. „Sogar wir beide sind zu cool um ins Museum zu gehen, oder?“ Sie mochte Museen, keine Frage, noch dazu könnten sie miteinander wohl überall ihren Spaß haben. „Hast du da auch die… was war es noch, Platin-Karte?“ Wenn man sich frei durch Harvard bewegen durfte, dann war der Besuch im Eiskrem-Museum doch vermutlich mit dem Ausrollen des roten Teppichs verbunden.
„Rollschuhbahn klingt schon besser, beim nächsten Mal dann bitte unbedingt das.“ Auf Skates konnte sie sich ihn zwar auch absolut nicht vorstellen, aber ungeschickter anstellen als sie könnte er sich auch nicht. Gäbe auf jeden Fall etwas zu lachen.

Und doch konnte sie die Frage nicht aushalten, die ihnen wohl beide auf der Zunge lag. Wie immer wenn ihr etwas auf der Seele brannte gab es kein Halten, mehr als ein paar Minuten konnte sie ihre Klappe diesbezüglich dann ohnehin auch nicht halten. Dass Emrys darüber nicht irritiert war wertete sie als gutes Zeichen, sie richtete den Blick auf den Weg vor sich und lauschte seinen Worten aufmerksam, merkte, wie ihr Herz dabei immer schneller zu schlagen begann. Sie hatte nicht daran gezweifelt, dass sie ähnliche Ideen oder Wünsche hatten, doch es ausgesprochen zu hören war… etwas anderes, eine Versicherung, dass sie sich nicht zum Deppen machte.
Was sie dann aber mehr irritierte wusste sie nicht, dass er von der nächsten Stufe sprach oder die Tatsache, dass er Angst hatte. Der sich ändernde Tonfall war unüberhörbar und versetzte Ellis einen kleinen Stich, allein die Tatsache, dass sie ein solches Gefühl bei ihm auslösen konnte, schon jetzt, war… überwältigend.
Das Rauschen des Hudson Rivers wurde wieder lauter als der Parkweg sie wieder an die Ufer führte. Ellis blieb stehen, legte einen Ellbogen auf die Brüstung und sah kurz hinab in die reißenden Strömungen. Es war innerhalb der letzten halben Stunde merklich dunkler geworden, die kurzen Tage des Winters waren sonst eine solche Belastung gewesen und jeden Tag der Anlass, sich darüber zu beschweren, dass es schon dunkel war. Doch die nun aufflackernden Lichter in den Gebäuden um sie herum änderten das Bild, oder vielleicht war es auch der Mann, der da neben ihr stand und ihr gar nicht mal so sehr durch die Blume gesagt hatte, dass er ein Teil ihres Leben sein wollte.
„Ich hab auch schon ein Auto“, murmelte sie leise - als ob das jetzt der springende Punkt war! - und sah dann wieder zu ihm auf. Sie wollte alles von ihm wissen, jedes noch so kleine Detail. Welche Pralinen er in den Packungen übrig ließ, ob er erst die Milch oder erst die Cornflakes in seine Schüssel füllte, ob er ein Morgenmuffel war oder Frühaufsteher. „Nächste Stufe, he?“ Welche auch immer das war, sie hatte keinerlei Bedienungsanleitung zu diesem gut aussehenden Mann dazu gelegt bekommen. Vielleicht sollte sie es einfach wagen, denn sie kannte sich, es gab sie nur in 100%iger Ausführung, selbst wenn sie gewollt hätte, hätte sie Teile ihres Leben nicht verschweigen können. „Ich hab Kinder, drei Stück und sogar ein Enkelkind. Meine Tochter fand es war eine gute Idee noch in der High School schwanger zu werden“, faselte sie los und wandte sich ihm völlig zu, „ich kenne meinen Vater nicht und hatte immer nur Glück auf gute Schulen gekommen zu sein, ansonsten wäre aus mir sicher auch nichts geworden“, ging es schon weiter, warum es ausgerechnet diese Fakten waren die ihr in den Sinn kamen… keine Ahnung. „Und jedes Mal wenn ich in den Pub gegangen bin, war es in der Hoffnung dich zu sehen.“ Das war vielleicht etwas zu viel des Guten, aber es war die Wahrheit. Das Lächeln war nun nicht mehr von ihrem Gesicht zu bekommen, die Sorge, dass sie mehr als dümmlich grinste, ging ihr sonstwo vorbei.
„Ich küss dich jetzt, Emrys Harvard“, erklärte sie ihm dann, wartete eine Sekunde ab ob ein Einwand kam, dann reckte sie sich ihm entgegen und platzierte ihre Lippen auf den seinen. War das die nächste Stufe von der er gesprochen hatte?
Ellis Herz hämmerte so schnell gegen ihren Körper, dass ihr eine Ohnmacht drohte. Wie konnte sie nur, wie konnte sie diesen wahnsinnig guten Mann in das Elend ziehen, das ihr Leben war? Wohl einfach so, denn was vorher ein kribbelndes Gefühl von Aufregung und Vorfreude gewesen war, wandelte sich binnen weniger Sekunden in einen reißenden Wasserfall aus Emotionen. Kurz war ihr als wollte sie in Tränen ausbrechen weil sie sich so überfordert von alldem wiederfand. Dieses Gefühl… hatte sie zum letzten Mal in ihrer Studienzeit gespürt. Der Moment in dem sie sich in ihren ersten Ehemann verliebt hatte, eine längst gut wegsortierte Erinnerung, die nun wiederbelebt wurde in ein ganz anderes Setting. Wann auch immer so ein Kuss zu Ende sein sollte, gab es einen richtigen Moment hatte Ellis ihn großspurig vorbeiziehen lassen, denn so schnell wollte sie sich nicht wieder von ihm trennen. Zu groß war dann auch ihre Scheiß-Angst, dass sie das hier viel zu überstürzt gemacht hatte…
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#10


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Ob sie einander jemals so gut kennen würden, dass er ihr von seiner Mega-Leiche erzählen würde? Vermutlich nicht. Er hatte noch nie jemandem davon erzählt, bis auf Charles, der ihn ja adoptiert hatte. Niemand sonst wusste, woher er ursprünglich kam und wie er eigentlich hieß, und Charles hatte dieses Geheimnis dankbarerweise mit ins Grab genommen. Emrys war dieses frühere Leben mittlerweile so fern, es kam ihm beinahe unwirklich vor. Er zuckte nicht einmal mehr, wenn jemand den Namen "Jack" sagte, obwohl das zugegebenermaßen eine Weile gedauert hatte. Aber Emrys mit seinem Namen, seinem Leben und seiner Herkunft war ihm derart in Mark und Bein übergegangen; aus der anfänglichen Rolle war sein Leben geworden. Aus dem Spiel war Ernst geworden. Er war Emrys Westbrook. Und Jack Malone hatte es nie gegeben, zumindest nicht diesen einen.
"Da hast du mich wohl ertappt", grinste er beschämt. "Ich war tatsächlich nur ein Mal dort und kam mir wie ein ziemlicher Fremdkörper vor. Aber das Eis dort ist gar nicht mal schlecht." Besser als das langweilige Date, dass er dort gehabt hatte. Die Dame war wirklich ein Ausbund an Bla Bla gewesen, absolut nichtssagend, oberfächlich und einschläfernd. Nun gut, im Vergleich zu den Treffen mit Ellis stank wohl so ziemlich jedes Date ab, das er bisher erlebt hatte. Schmunzelnd dachte er an ihr Treffen in Harvard zurück, als sie das Gebäude "durchgespielt" hatten. Mit wem erlebte man schon so ein positiv skuriles Treffen? Nur mit einer besonderen Person.

Nun war er also gekommen. Der Zeitpunkt, den sie erstaunlich lange vermieden hatten: Der Zeitpunkt, an dem sie über ernste Themen sprachen. An dem ihr Kontakt die Exklusivität der Leichtigkeit und des Humors verlor, indem sich etwas untermischte, was bisher noch nicht da gewesen war. Es war... seltsam, beängstigend, aber im Grunde schon lange überfällig. Gedankenverloren beobachtete Emrys, wie der Hudson River an ihnen vorbeifloss, und trat neben Ellis, als diese sich auf die Brüstung lehnte. Diese Stadt war so verdammt schön. Bei jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Er genoss es, hier zu sein. Mit Ellis.
Okay, ein Auto hatte sie wohl also schon. Und ihr Kommentar zu seinen Worten - "nächste Stufe" - ließ darauf schließen, dass sie nicht sicher war, was sie davon halten sollte. Wusste er ja selbser nicht. Auch nicht, wie er diese nächste Stufe definierte. Aber darum sprachen sie ja gerade darüber, oder?
Als sie weitersprach, konnte Emrys seine Verblüffung nicht ganz verbergen und zog überrascht die Agenbrauen hoch. Drei Kinder? Ein Enkelkind? Wow. Natürlich war ihm klar, dass sie keine zwanzig mehr war und schon einiges erlebt hatte, auch Kinder hatte er für möglich gehalten, aber drei? Das hatte er nun doch icht vermutet. In wie vielen Dingen, die er unwillkürlich über sie annahm, irrte er sich wohl noch? Er verkniff sich den Spruch, dass sie nicht aussah wie eine Oma. Das hatte sie bestimmt schon oft genug gehört. Stattdesen hörte er ihr aufmerksam zu, als sie weitersprach. Bis sie verstummte. Erwartete sie jetzt von ihm, dass er ebenfalls blankzog? Es lag nicht in seinem Naturell, einfach unwillkürlich persönliche Dinge über sich selbst in die Luft zu blasen. Dafür hatte er sich zu sehr antrainiert, aufzupassen was er sagte. Zuerst, um sich nicht zu verplappern, und später, weil es als Politiker einfach notwendig war. Weil einem das falsche Wort zum falschen Zeitpunkt direkt das Genick brechen konnte.
"Ich habe auch immer gehofft, dich dort anzutreffen", erwiderte er schließlich zögerlich, aber aufrichtig. "Und ich danke dir für deine Offenheit. Ich... Ich tu mich schwer damit, einfach Dinge rauszuhauen, aber..." Er seufzte. "Meine Mom starb bei meiner Geburt." Zumindest Mom 2.0, das musste vorerst genügen. Ob er jemals den Mut aufbringen würde, über Mom 1.0 zu sprechen... Er wusste es nicht. "Mein Leben ist nicht so spannend wie deins, fürchte ich. Keine Kinder, keine Geschwister, mein Vater starb 2001. Seitdem gibt es nur mich." Er zuckte mit den Schultern. "Und das ist okay, ich meine, ich hab mich dran gewöhnt. Drei Mal war ich verlobt... Immer mit derselben Frau. Es hat aber doch irgendwie nicht geklappt." Das musste erst einmal an Informationen genügen. Zumindest denen, die er von sich aus preisgab; für sein Verhältnis war Emrys schon sehr gesprächig gewesen. Natürlich würde er Ellis Fragen beantworten, wenn sie denn welche stellte.

Vorerst machte sie ihm aber eine Ansage. Im ersten Augenblick fürchtete er, sich verhört zu haben, doch als ihr Gesicht seinem immer näher kam... Schaltete sich sein Verstand komplett aus. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, beugte sich ihr entgegen. Der Kuss war so zart wie intensiv, Emrys wusste gar nicht, wie ihm geschah. Sein Kopf wurde leicht, sein Blut sackte nach unten, sein Herz flatterte wild. Hatte sich ein Kuss jemals so angefühlt? Wenn ja, dann war es einfach zu lange her, alss dass er sich lebhaft daran erinnern konnte. Zum ersten Mal spürte Emrys Sehnsucht. Nach einer Familie, danach zu jemandem zu gehören, nicht jeden Tag in eine leere Wohnung zurückzukehren. Nachts nicht alleine in seinem großen Bett zu liegen. All die Dinge, die er jahrelang glaube nicht zu brauchen, vermisste er plötzlich schmerzlich. Was machte sie nur mit ihm?
Als er schließlich Luft holen musste, löste er sich nur minimal von ihr und lehnte seine Stirn an ihre. Sein Arm hielt sie sanft fest an sich gedrückt. Er ließ seine Augen geschlossen, versuchte zu Atem zu kommen und zu verstehen, was hier gerade passiert war und woher dieser Wirbelsturm an Emotionen kam, der in ihm tobte. "Heilige Scheiße", murmelte er schließlich mit einem nervösen, atemlosen Lachen. "Was machst du nur mit mir?"
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