I like the way I can't keep my focus
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#12


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Emrys war nicht bewusst, wann sie von ihren locker-flapsigen, eher oberflächlichen Themen so sehr in die Tiefe hinabgestiegen waren. Es war doch erst gestern gewesen, dass sie im Pub sinniert hatten, wie man am besten eine Leiche entsorgen konnten. Und hier waren sie, erzählten sich Dinge, die man nur jemandem erzählte, zu dem man eine tiefere Bindung hegte. Dem man vertraute. Und so wenig sie vielleicht übereinander wussten, in einem war Emrys sich völlig sicher: Er vertraute Ellis. Ihre Begegnungen mochten ungewöhnlich gewesen sein, nicht der Norm entsprechend, doch für sie beide genau richtig. Und wer legte schon fest, was die Norm war...

Dass er seit 2001 allein war, familiär gesehen, schien sie zu treffen. Emrys verspürte einen kurzen, harten Stich des schlechten Gewissens; denn soweit er wusste, lebte zumindest sein leiblicher Bruder noch. Falls der sich nicht mittlerweile totgesoffen hatte, aber ehrlich gesagt interessierte Emrys das nicht die Bohne. Dieser Mensch war ihm so fremd, da hatte er ja selbst zu der Obdachlosen, die regelmäßig im Hauseingang seines Wohngebäudes Schutz suchte, ein engeres Verhältnis. Natürlich fragte er sich manchmal, wie es wohl wäre, wenn er eine Familie hätte; aber da er in seiner Jugend nie das Gefühl hatte, in einem familiären Gebilde zu leben, und er bei seiner Adoption einfach schon fast erwachsen gewesen war und für Charles nur vage familienähnliche Gefühle entwickelt hatte, kannte er es einfach nicht anders. Und was man nicht kannte, konnte man auch nicht vermissen, höchstens eine idealisierte Vorstellung davon.
Die Tatsache aber, dass Ellis Anteil zu nehmen schien, ohne ihn mit Mitleid zu überhäufen, wie er es oft erlebte, schätzte er sehr. Und es berührte ihn, dass es sie berührte. Es öffnete sein Herz für sie noch ein kleines bisschen mehr; zuerst hatte sie diese Tür nur mühsam und schrittchenweise zu öffnen vermocht, doch plötzlich schien es, als leiste die Tür keinerlei Widerstand mehr.

Der Kuss schien eine logische Fortführung seiner Gefühle, und wohl auch ihrer, zu sein. Es fühlte sich so aufregend neu und gleichzeitig irgendwie vertraut an. Wie oft hatte er in letzter Zeit darüber nachgedacht, wie es wohl sein würde, sie zu küssen. Wie sich ihre Lippen, deren Schwung er schon so oft ausführlich betrachtet hatte, wohl anfühlen mochten. Einen Moment verharrten sie regungslos, die Stirne aneinandergelehnt, als wollten sie beide den Nachhall des Kusses noch einen Moment wahrnehmen und genießen. Emrys hatte gedacht, so etwas wie Verliebtheit, das Kribbeln und Fühlen, wäre anders in seinem Alter. Weil er es lange nicht mehr gespürt hatte, weil er vermutet hatte, dass diese Gefühle nur jungen Menschen vorbehalten waren. Dass jemand mit seiner Lebenserfahrung sich fühlen konnte wie ein verliebter Teenie - und die Bezeichnung traf es gerade ziemlich gut - , das hatte er nicht gewusst. Gott sei Dank hatte er sich diesbezüglich geirrt!
Bevor er sich jedoch in Gefühlsduseleien ergehen konnte, brachte Ellis ihn mit dem trockenen Humor, den er an ihr kennen und lieben gelernt hatte, ein weiteres Mal zum Lachen. Diese Frau war einfach unglaublich! "Nun ja, ich bin nicht gänzlich unsportlich... Aber an meiner Gelenkigkeit kann man sicherlich noch arbeiten."

Emrys verkniff sich einen Protest, als sie schließlich einen halben Schritt zurück machte. Dann jedoch ergriff sie seine Hand, und Emrys war verzückt. Herrje, wann hatte er das letzte Mal Händchen gehalten? Er konnte sich nicht erinnern. Und wie gut fühlte sich das bitte an?!
Natürlich stolperte sie über die Tatsache, dass er drei Mal mit derselben Frau verlobt gewesen war. Das geschah jedes Mal, wenn er davon erzählte, weshalb er genau das nicht oft tat. "Wir kamen nicht voneinander los, aber wir waren nicht gut füreinander." Er hob eine Schulter zu einem halben Schulterzucken. Das Kapitel war abgeschlossen, endgültig. Und das war schließlich alles, was zählte.
Uuuuund ihre nächste Frage und die Intention, die dahinter zu stecken schien. Hoffentlich. Hatte er aufgeräumt? Klar, er war ordentlich. Fast ein wenig penibel. Aber wann war seine Putzelfe das letzte Mal da gewesen? Ah, gestern erst, puh. Gott sei Dank. Es sollte also unproblematisch sein, sie mit nach Hause zu nehmen. "Mit dem Taxi geht es relativ schnell", erwiderte er und strebte bereits dem Parkausgang entgegen, ohne ihre Hand loszulassen. Kondome hatte er da, dessen war er sich sicher. Nicht, dass er oft von selbigen Gebrauch machte; aber er war einfach gerne vorbereitet. "Ich bin gerne vorbereitet." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Nicht, dass ich oft... Aber für den Fall dass, bin ich einfach gerne vorbereitet. Manchmal tausche ich die Dinger aus, weil sie abgelaufen sind, aber Hauptsache... Ich bin vorbereitet", endete er lahm, denn nun hatte er wohl hinlänglich klargestellt, dass er... nun ja, vorbereitet war.
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RE: I like the way I can't keep my focus - von Emrys Westbrook - 06.09.2022, 14:49

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