I like the way I can't keep my focus
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#10


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


Ob sie einander jemals so gut kennen würden, dass er ihr von seiner Mega-Leiche erzählen würde? Vermutlich nicht. Er hatte noch nie jemandem davon erzählt, bis auf Charles, der ihn ja adoptiert hatte. Niemand sonst wusste, woher er ursprünglich kam und wie er eigentlich hieß, und Charles hatte dieses Geheimnis dankbarerweise mit ins Grab genommen. Emrys war dieses frühere Leben mittlerweile so fern, es kam ihm beinahe unwirklich vor. Er zuckte nicht einmal mehr, wenn jemand den Namen "Jack" sagte, obwohl das zugegebenermaßen eine Weile gedauert hatte. Aber Emrys mit seinem Namen, seinem Leben und seiner Herkunft war ihm derart in Mark und Bein übergegangen; aus der anfänglichen Rolle war sein Leben geworden. Aus dem Spiel war Ernst geworden. Er war Emrys Westbrook. Und Jack Malone hatte es nie gegeben, zumindest nicht diesen einen.
"Da hast du mich wohl ertappt", grinste er beschämt. "Ich war tatsächlich nur ein Mal dort und kam mir wie ein ziemlicher Fremdkörper vor. Aber das Eis dort ist gar nicht mal schlecht." Besser als das langweilige Date, dass er dort gehabt hatte. Die Dame war wirklich ein Ausbund an Bla Bla gewesen, absolut nichtssagend, oberfächlich und einschläfernd. Nun gut, im Vergleich zu den Treffen mit Ellis stank wohl so ziemlich jedes Date ab, das er bisher erlebt hatte. Schmunzelnd dachte er an ihr Treffen in Harvard zurück, als sie das Gebäude "durchgespielt" hatten. Mit wem erlebte man schon so ein positiv skuriles Treffen? Nur mit einer besonderen Person.

Nun war er also gekommen. Der Zeitpunkt, den sie erstaunlich lange vermieden hatten: Der Zeitpunkt, an dem sie über ernste Themen sprachen. An dem ihr Kontakt die Exklusivität der Leichtigkeit und des Humors verlor, indem sich etwas untermischte, was bisher noch nicht da gewesen war. Es war... seltsam, beängstigend, aber im Grunde schon lange überfällig. Gedankenverloren beobachtete Emrys, wie der Hudson River an ihnen vorbeifloss, und trat neben Ellis, als diese sich auf die Brüstung lehnte. Diese Stadt war so verdammt schön. Bei jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Er genoss es, hier zu sein. Mit Ellis.
Okay, ein Auto hatte sie wohl also schon. Und ihr Kommentar zu seinen Worten - "nächste Stufe" - ließ darauf schließen, dass sie nicht sicher war, was sie davon halten sollte. Wusste er ja selbser nicht. Auch nicht, wie er diese nächste Stufe definierte. Aber darum sprachen sie ja gerade darüber, oder?
Als sie weitersprach, konnte Emrys seine Verblüffung nicht ganz verbergen und zog überrascht die Agenbrauen hoch. Drei Kinder? Ein Enkelkind? Wow. Natürlich war ihm klar, dass sie keine zwanzig mehr war und schon einiges erlebt hatte, auch Kinder hatte er für möglich gehalten, aber drei? Das hatte er nun doch icht vermutet. In wie vielen Dingen, die er unwillkürlich über sie annahm, irrte er sich wohl noch? Er verkniff sich den Spruch, dass sie nicht aussah wie eine Oma. Das hatte sie bestimmt schon oft genug gehört. Stattdesen hörte er ihr aufmerksam zu, als sie weitersprach. Bis sie verstummte. Erwartete sie jetzt von ihm, dass er ebenfalls blankzog? Es lag nicht in seinem Naturell, einfach unwillkürlich persönliche Dinge über sich selbst in die Luft zu blasen. Dafür hatte er sich zu sehr antrainiert, aufzupassen was er sagte. Zuerst, um sich nicht zu verplappern, und später, weil es als Politiker einfach notwendig war. Weil einem das falsche Wort zum falschen Zeitpunkt direkt das Genick brechen konnte.
"Ich habe auch immer gehofft, dich dort anzutreffen", erwiderte er schließlich zögerlich, aber aufrichtig. "Und ich danke dir für deine Offenheit. Ich... Ich tu mich schwer damit, einfach Dinge rauszuhauen, aber..." Er seufzte. "Meine Mom starb bei meiner Geburt." Zumindest Mom 2.0, das musste vorerst genügen. Ob er jemals den Mut aufbringen würde, über Mom 1.0 zu sprechen... Er wusste es nicht. "Mein Leben ist nicht so spannend wie deins, fürchte ich. Keine Kinder, keine Geschwister, mein Vater starb 2001. Seitdem gibt es nur mich." Er zuckte mit den Schultern. "Und das ist okay, ich meine, ich hab mich dran gewöhnt. Drei Mal war ich verlobt... Immer mit derselben Frau. Es hat aber doch irgendwie nicht geklappt." Das musste erst einmal an Informationen genügen. Zumindest denen, die er von sich aus preisgab; für sein Verhältnis war Emrys schon sehr gesprächig gewesen. Natürlich würde er Ellis Fragen beantworten, wenn sie denn welche stellte.

Vorerst machte sie ihm aber eine Ansage. Im ersten Augenblick fürchtete er, sich verhört zu haben, doch als ihr Gesicht seinem immer näher kam... Schaltete sich sein Verstand komplett aus. Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich, beugte sich ihr entgegen. Der Kuss war so zart wie intensiv, Emrys wusste gar nicht, wie ihm geschah. Sein Kopf wurde leicht, sein Blut sackte nach unten, sein Herz flatterte wild. Hatte sich ein Kuss jemals so angefühlt? Wenn ja, dann war es einfach zu lange her, alss dass er sich lebhaft daran erinnern konnte. Zum ersten Mal spürte Emrys Sehnsucht. Nach einer Familie, danach zu jemandem zu gehören, nicht jeden Tag in eine leere Wohnung zurückzukehren. Nachts nicht alleine in seinem großen Bett zu liegen. All die Dinge, die er jahrelang glaube nicht zu brauchen, vermisste er plötzlich schmerzlich. Was machte sie nur mit ihm?
Als er schließlich Luft holen musste, löste er sich nur minimal von ihr und lehnte seine Stirn an ihre. Sein Arm hielt sie sanft fest an sich gedrückt. Er ließ seine Augen geschlossen, versuchte zu Atem zu kommen und zu verstehen, was hier gerade passiert war und woher dieser Wirbelsturm an Emotionen kam, der in ihm tobte. "Heilige Scheiße", murmelte er schließlich mit einem nervösen, atemlosen Lachen. "Was machst du nur mit mir?"
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RE: I like the way I can't keep my focus - von Emrys Westbrook - 14.07.2022, 12:48

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