Love comes slow and it goes so fast
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#16


Love comes slow and it goes so fast
,   Christine Lowell,   Emrys Westbrook
am 08.03.2021


Emrys hatte keine Ahnung, was das Dragonfly war, aber es spielte eigentlich gerade auch keine Rolle. Vielleicht würde es ihm einen Aha-Moment bescheren, wenn er sich die Serie dann mal anschaute, wozu Christine ihm dringend riet. Er war sich zwar sicher, nicht zur Zielgruppe dieser Serie zu gehören, aber reinschauen konnte er ja mal. Irgendwas musste er ohnehin tun, um sich abzulenken, wenn er sich die schlaflosen Nächte um die Ohren schlug. Anfangs hatte er da noch gearbeitet, aber neuerdings sorgte der aufmerksame Fred dafür, dass Emrys seinen Laptop nicht mit nach Hause nahm, sodass es ihm nicht möglich war, nachts zu arbeiten. Womöglich war er es einfach leid, mitten in der Nacht Mails von seinem Boss zu bekommen. Auf jeden Fall war es Emrys so nicht möglich, von zuhause vernünftig zu arbeiten, sodass diese Option zur Ablenkung wegfiel. Aber vielleicht war es Zeit, sich ein Streaming-Abo zuzulegen. "Wo kann man das denn schauen, kann man das irgendwo streamen?" fragte er Christine, die seine Frage ohne jeden Zweifel beantworten konnte. Mutter und Tochter. Na ja. Er würde der Serie eine Chance geben. "Und wie viele Folgen sollte ich mindestens gucken, bevor ich beurteilen kann, ob die Serie was für mich ist?" Irgendwie vermutete, dass die Antwort darauf "alle" lauten würde, aber er konnte ja trotzdem mal fragen. Manchmal brauchten Serien ja ein paar Folgen, bis sie gut wurden - hatte er gehört. Er selbst hatte schon seit Jahren keine Serie geguckt. Die letzte, die ihm akut einfiel, war ALF.

War er prüde? Emrys runzelte die Stirn, was sich mit der Maske auf dem Gesicht komisch anfühlte. Hoffentlich bekam er keinen Ärger, weil er die Maske ruiniert hatte. "Nein, es stört mich nicht. Ich möchte nur nicht, dass deine Mutter uns hier irgendiwe abhört und mir nachher einen Einlauf verpasst, weil du in ihrem Kopf noch ein unwissendes, jungfräuliches Mädchen bist." Manche Eltern schafften es ja nie, dieses Bild ihrer Kinder abzulegen, selbst wenn diese sie schon zu Großeltern gemacht hatten. Das hatte er jedenfalls bei Bekannten erlebt, er selbst konnte da ja nicht mitreden. Die Frage, wie Ellis ihre Kinder wohl sah, poppte in seinem Kopf auf, und er schnaubte unwillig auf. Sie sollte endlich aus seinen Gedanken verschwinden!
Zum Glück lenkte Christine ihn direkt wieder ab. Dass sie ihn gar nicht als so viel älter wahrnahm, tat seiem Ego gut; manchmal hatte er das Gefühl - oder vielmehr die Befürchtung - , dass Frauen ihres Alters ihn schon für einen alten Sack hielten. Er fühlte sich gerade auch ziemlich alt, aber das lag vermutlich schlichtweg daran, dass er sich momentan wie durchgekaut und ausgekotzt fühlte. "Danke, es tut gut das zu hören", seufzte er. Zwar fühlte er sich mit seinem Alter wohl und hatte kein Problem damit, aber manchmal war er schon erschrocken darüber, in wenigen Jahren 60 zu werden. War er nicht gefühlt gestern erst 40 geworden? Wieso verging die Zeit eigentlich so schnell?
"Also, wenn du vom Thema Sex zum Thema Schwellungen übergehst, entstehen leider seltsame Bilder in meinem Kopf", versuchte er, zu scherzen. "Aber wenn ich morgen in den Spiegel sehe und Schwellungen entdeckte, wedre ich auf jeden Fall an dich denken. Hast du denn einen Tipp, was ich dann machen kann? Ich hab zwar meinen Kalender nicht im Kopf, aber vermutlich habe ich morgen irgendeinen Termin, bei dem ich einigermaßen vorzeigbar und fit aussehen sollte. Wahrscheinlich kommt es nicht so gut, wenn ich die rote Schleife vor einem Seniorenheim durchschneide und dabei aussehe, als hätte ich die ganze Nacht durchgesoffen. Könnte schlechte Schlagzeilen geben." Wobei schlechte Schlagzeilen natürlich immer noch besser waren als gar keine, aber bisher hatte Emrys ziemlich erfolgreich sein Saubermann-Image kultiviert und wollte das auch gerne so beibehalten. Es würde schon noch früh genug irgendwelchen Mist geben, mit dem die Presse ihn bewerfen konnte, aber solange es sich verhindern ließ, wollte er ihnen die Munition nicht selbst in die Hände legen.

"Ja, da hast du auch wieder recht." Immerhin gab es genug Menschen, die Kinder machten, ohne das große Gefühle zwischen ihnen herrschten; ob es nun ein "Unfall" war oder Mittel zum Zweck, um sich den Kinderwunsch zu erfüllen. Dass Christines Schwester mit einem Klempner zusammen war, hörte Emrys zum ersten Mal - aber wer war er, darüber zu urteilen? Solange sie glücklich war, war doch alles prima. "Ist sicher praktisch, einen Handwerker im Haus zu haben", antwortete er also gelassen. Natürlich fragte Christine nach, wollte Details wissen. Emrys musste sich überwinden, ihr diese zu geben, und lieferte ihr eine knappe Zusammenfassung. "Sie hat zufällig herausgefunden, dass ich Politiker bin, und... ich weiß es nicht genau. Sie meinte, sie wäre mein politisches Ende und daher könnten wir nicht zusammen sein. Sie hat mich gebeten, sie zu vergessen, und hat mich... verlassen. Im einen Moment hatte ich sie noch im Arm, im nächsten... war sie weg." Seine Stimme war gegen Ende hin immer leiser geworden und brach bei den letzten Worten schließlich weg. Die Erinnerung an seine letzten Momente brannte wie die Hölle in seinem Inneren, er hielt es kaum aus. Er wollte diesen Moment zurück, um irgendetwas anders machen zu können und den Ausgang zu verhindern. Und wenn er einfach nur die blöde Zeitung verbrannte, bevor sie die Schlagzeile über ihn lesen konnte. Aber das hätte das Ende nur aufgeschoben, nicht wahr? Im Grunde gab es nichts, was diesen Moment verhindern konnte. Er war, wer er war, und sie war, wer sie war - was immer das bedeutete. Die Details hatte sie ihm ja nicht verraten.
Christine begann, seine Hand zu massieren. Emrys war kurz überrascht, dann stellte er fest, dass ihm das gefiel. "Das fühlt sich wirklich gut an." Sein Körper entspannte sich tatsächlich ein wenig. Nur sein Kopf und sein Herz gaben einfach keine Ruhe. Dass Christine ihm Komplimente machte und Honig um den Bart schmierte, schmeichelte ihm natürlich. Aber was war all das, was sie aufzählte, wert, wenn es nicht ausreichte, um Ellis zu halten? Für ihn aktuell nicht viel.
"Ich danke dir für diesen sehr offensichtlichen Versuch, mein Ego ein bisschen aufzubauen. Aber ja, es lag an ihr... Sie hat mir den Grund nicht gesagt, ich glaube, sie konnte einfach nicht. Oder sie hat mir nicht genug vertraut, obwohl ich eigentlich denke, dass das nicht der Grund ist. Andererseits kannten wir uns nicht ziemlich gut, zumindest nicht die harten Fakten. Wir waren auf einer anderen Ebene unterwegs." Er seufzte. Was Ellis und er gehabt hatten, war schwer zu erklären. Es war so besonders gewesen... und viel zu kurz.
"Ich bin mir sicher, die Entscheidung ist ihr schwer gefallen, und ich respektiere ihren Wunsch, fernzubleiben. Aber... Ich dachte, nach ein paar Wochen Liebeskummer würde ich die Sache abhaken und weitermachen können, aber irgendwie tritt das nicht ein." Er seufzte erneut, in dem Versuch seinem Brustkorb etwas von dem Druck zu nehmen, den sein bleischweres Herz ihm machte. "Kannst du mir mal meine Tasse geben?" bat er, die Augen weiterhin geschlossen.
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RE: Love comes slow and it goes so fast - von Emrys Westbrook - 23.03.2024, 20:00

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