25.01.2024, 15:57 - Wörter:
I like the way I can't keep my focus
Da hatte sie natürlich auch wieder Recht, die Luft hier drinnen war definitiv sauberer als der Abgasmief, der an seinen Fenstern vorbeizog. Eigentlich war es ein Wunder, dass die Stadt so beliebt war; sie war laut, sie stank, es waren viel zu viele Menschen unterwegs. Und trotzdem gab es keinen Ort, an dem Emrys lieber wohnen würde. Zwar überlegte er momentan, ob er sich nicht ein Haus irgendwo im Grünen, weitab von jeglichem Trubel, zulegen sollte. Als Zufluchtsort, für ein verlängertes Wochenende oder so. Aber wenn seine Kanditatur wirklich erfolgreich verlief, würde er vermutlich nicht sonderlich viel Zeit haben, sich im Grünen aufzuhalten - vielleicht wäre es also nur Geldverschwendung. Und ja, im Prinzip hatte er davon genug; seine Konten waren prall gefüllt. Aber seine Vergangenheit steckte eben tief in ihm drin... Er würde wohl nie vergessen können, wie es sich anfühlte, keinen Cent in der Tasche zu haben. Und das war auch gut so. Er glaubte fest daran, dass seine Geschichte, auch wenn niemand sie kannte, ihn zu einem besseren Politiker machte. Auf jeden Fall hatte sie ihn zu einem mehr als ehrgeizigen Menschen gemacht. Es war fast schade, dass sein Leben - sein wahres Leben - nicht bekannt war; von der Gosse zum erfolgreichen Politiker, die Verfilmung seines Lebens hätte bestimmt einen Oscar für das beste Drehbuch erhalten.
Ellis riss ihn mit einer Frage aus seinen Gedanken. „Hast du keine Angst, dass ich dich nur wegen deinem Geld mag?“
"Angst nicht. Aber ich bin mir bewusst, dass es genug Menschen gibt, die mehr an meinem Geld interessiert sind als an mir. Und ich merke den Unterschied mittlerweile schnell." Er lachte leise. "Das war auch notwendig, sonst wäre ich mittlerweile wohl pleite, weil mich ein Mensch nach dem anderen abgezockt hätte." Er schwieg kurz, zögerte, ob er weitersprechen sollte. "Bitter war es meist, wenn es Frauen waren, die mich ernsthaft interessierten. Das tat dann weh." Er lächelte sie an. "Ich weiß aber, dass du nicht zu diesen Frauen gehörst." Sie sollte bloß nicht daran zweifeln, dass er wusste, dass sein Geld keine Rolle für sie spielte. Das hier zwischen ihnen war mittlerweile viel zu intensiv, als dass es gespielt sein könnte.
Immerhin war sie ja die Sonne in seinem Leben. Emrys musste lachen. Sie war wirklich unglaublich! "Als öde würde ich meinen Alltag vielleicht nicht unbedingt bezeichnen, aber du hast auf jeden Fall Farbe hineingebracht." Er strich sanft über ihre Arme, als sie sich näher an ihn kuschelte. Sie schwiegen einen Augenblick, aber es war kein unangenehmes Schweigen; sie wussten beide, dass sie sich wohl miteinander fühlten, und Emrys war sich sicher, dass Ellis dieses Beisammensein, den Moment, genauso genoss wie er. Wie es wohl wäre, sie öfter hier bei sich in der Wohnung zu haben? Der Gedanke fühlte sich erstaunlich gut an. So wie sie. Es tat einfach gut, sie hier zu haben, mit ihrem wunderschönen Körper und ihrem erfrischenden Geist. Emrys war eigentlich jemand, der lieber Single war, weil er nur ungern Kompromisse einging - aber mit Ellis schien Zeit zu verbringen so leicht zu sein, er hatte nie das Gefühl, etwas zu müssen. Sie stellte keine überzogenen Erwartungen an ihn, wie Frauen es sonst so oft, spätestens nach einer gewissen Weile, taten. Vielleicht wäre es auch schön, mit Ellis in den Urlaub zu reisen... Sobald es sein Zeitplan zuließ. Bali oder Maui, ein einsamer Strand, nur sie beide und die Servicemenschen, die dafür sorgen würden, dass es ihnen an nichts fehlte und sie rundum versorgt und verwöhnt waren...
Emrys brauchte einen Moment, um vom Strand zurück zu seinem Appartment und speziell seinen Gästezahnbürsten zu gelangen. Was für ein Themenwechsel, den Ellis da unwissentlich in seinem Kopf herbeigerufen hatte. "Es freut mich sehr, dass dich die Zahnbürste derart zufrieden gestellt hat. Ihr wart ein anscheinend ein gutes Team... Dann würde sich die Zahnbürste bestimmt freuen, dich - oder bessergesagt deine Mundhöhle - bald wiederzusehen."
Für einen Moment schloss Emrys, an Ellis gelehnt, die Augen und genoss einfach das Hier und Jetzt. Himmel, das kam weißgott nicht oft vor! Meistens war er sich selbst in Gedanken bereits einige Schritte voraus. Doch gerade jetzt gelang es ihm, abzuschalten und einfach nur im Moment zu sein. Zu genießen. Nicht zu kalkulieren, zu planen und endlose imaginäre To-Do-Listen zu füllen. Er hörte Ellis ruhigen Atem, hörte das Rascheln der Zeitung, als sie darin herumblätterte... Und spürte die Veränderung. Ihr Körper versteifte, ihre Atmung veränderte sich. Rasch öffnete er die Augen wieder, um herauszufinden, was los war. Sein Blick fiel auf die Zeitung. Shit! So eine Scheiße! Noch bevor er Luft holen konnte, um sich zu erklären, kam sie ihm mit Worten zuvor. Und jedes einzelne ihrer Worte schnitt schärfer und tiefer in sein Herz als das zuvor.
"Es tut mir leid... Ich hätte es dir sagen sollen." Sicherlich hatte sie das Gefühl, dass er sie belogen hatte - obwohl sein Job ja nie thematisiert worden war. Er hatte nie vorgegeben, etwas anderes zu tun. Aber gar nichts zu sagen... Kam ihm jetzt auch doch wie eine Lüge vor. Er war immerhin kein Niemand, er stand in gewissem Maß in der Öffentlichkeit, was natürlich auch Konsequenzen für die Menschen in seinem Dunstkreis hatte. Bisher hatte er diese Tatsache erfolgreich verdrängt, hatte nicht einmal seinem Stab erzählt, dass er Ellis traf, um sie vor der unvermeidlichen Durchleuchtung zu schützen... Doch unendlich lange würde das auch nicht mehr gutgehen. Je öfter er sich mit Ellis traf, umso größer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann zusammen gesehen wurden. Oder gar fotografiert. Die Presse wartete ja förmlich darauf, dass "der ewige Junggeselle Westbrook" sich endlich mal mit einer Frau an seiner Seite zeigte.
Doch an die Presse konnte er gerade nicht denken. Er versuchte seine Gedanken zu ordnen, seine nächsten Schritte und Worte zu planen. Denn: Ellis' Reaktion jagte ihm eine Scheißangst ein. "Ich kandidiere bisher nur für den Sitz des Gouverneurs. Vielleicht bekomme ich den Posten gar nicht." Doch der Inhalt seiner Worte war ebenso dünn wie der Klang seiner Stimme. Das Gefühl, dass hier etwas unwiderruflich in Schieflage geriet, konnte er einfach nicht abschütteln.
Bitte nicht. Oh bitte, bitte nicht.
"Ellis..." Er suchte nach Worten, fand keine. Als er die Tränen in ihren Augen erblickte, war es, als umklammere eine eiskalte, eiserne Faust sein Herz. "Ellis, bitte... Es tut mir so leid, ich wollte dir das nicht verheimlichen." Er spürte, wie sie ihm entglitt, obwohl sie direkt vor ihm stand. "Ich... Wir können..." Scheiße, er musste das hier irgendwie retten! Er durfte sie nicht verlieren. Nicht jetzt. Nicht sie.
"Ich wollte es dir sagen, wirklich. Aber es tat so gut... Diese Welt von dem, was wir haben, fernzuhalten. Du bist... Ich will..." Himmel, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, geschweigedenn Worte finden.
"Findest du es wirklich so schlimm?" Er hatte es ja bereits erlebt, dass Frauen ihn wegen seines Jobs versetzten. Aber das war meistens bei den ersten Dates gewesen, wo man sich noch kaum kannte. Ellis und er, sie waren doch schon so viel weiter, oder nicht?
Aber warum hatte er ihr bislang nichts von seinem Job erzählt? Was, wenn er damit nun alles aufs Spiel gesetzt hatte... Warum nur hatte er so lange geschwiegen, verdammt.
A propos Schweigen: Auf einmal war es so still. "Rede mit mir, Ellis", flehte er und wünschte sich, er wüsste was er tun könnte, um ihre Tränen zu vertreiben. Und das ungute Gefühl, dass ihn einfach nicht aus seinem grauen, kalten Klammergriff entlassen wollte.