I like the way I can't keep my focus
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#29


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


„Ach, frische Luft.“ Ellis machte eine wegwerfende Handbewegung die unterstreichen sollte, was sie davon hielt. „Hatte ich schon genug. Frische Luft kann jeder haben. Und ich glaube wir sind uns einig, dass die Luft hier drinnen vermutlich frischer und sauberer ist als vor der Haustür.“ New York war für viele Dinge bekannt, ganz sicher aber nicht für die qualitativ hochwertige Frischluft. Es lag nahe, dass dieses Loft über eine so modernes Belüftungssystem verfügte, dass es mit Sicherheit gesünder wäre hier drinnen zu bleiben. Vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet erschien es ihr auch nicht so als könnte es hier mit ihm jemals langweilig werden. Eine Serie gucken, Musik hören. Eis essen, Kaffee trinken. Zusammen ins Bett gehen. Aus dem Fenster gucken. Ein Puzzle puzzeln. Wäsche zusammenlegen. Die sie nie bräuchten weil sie in seinen Harvard Shirts lebte und er bestenfalls gar nicht viel mehr trug als jetzt. Und selbst die langweiligsten, banalsten Dinge erschienen gerade erstrebenswert, wenn in Aussicht stand, dass sie das mit Emrys tun konnte. Oder ihn in ihrer Nähe wusste. „Hast du keine Angst, dass ich dich nur wegen deinem Geld mag?“ Tat sie nicht. Offensichtlich. Aber sie beschlich das Gefühl, dass er diese Erfahrung möglicherweise schon gemacht hatte? Sie war gut betucht. Aber er? Scheißreich. Offensichtlich. Jemand der ein paar gute Bücher schrieb blickte in der Regel trotz allem nicht vom Bett aus auf die Freiheitsstatue, das war den Magnaten ihrer Zeit vorbehalten. Oder den Erben solcher. Emrys war davon genau was?
Anerkennend nickte Ellis in ihre Tasse hinein. „Christbaumkugel. Natürlich.“ Sie wog den Kopf zur Seite, die blonden Haare fielen ihr dabei über die Schulter. „Ich hätte ansonsten auf eine Sonne getippt? Hier, wegen dem Strahl dort.“ Umständlich deutete sie mit dem Finger auf den verlaufenden Milchschaum. „Und weil ich offensichtlich die Sonne in deinem ansonsten tristen, öden Alltag bin. Wirkt als hättest du sonst nicht viel Spaß.“ Ha, als ob. Mit so einem Zuhause würde sie die Wohnung eh nie wieder verlassen, Frischluft hin oder her. Der Ort war perfekt, hatte alles was man brauchte. Wieso raus gehen? Oh wie sie hier schreiben könnte, mit diesem Ausblick? Die Ideen sprudelten ihr durch die wirren Gedanken, ehe sie die Tasse an die Lippen setzte und einen Schluck trank. Sogar der Kaffee schmeckte teuer. Vorzüglich. Aber teuer. Instinktiv lehnte sie sich etwas tiefer in Emrys Arme und atmete tiefer und ruhiger als es in den letzten zwanzig Jahren jemals der Fall gewesen war. Es war so absurd zu denken, dass sich nach Hause kommen genau so anfühlen sollte, wenn sie doch über diesen Mann kaum mehr wusste als seinen Namen und ein paar Fakten? Den eigenen Gedanken für den Moment nachhängend blickte Ellis aus dem Fenster, nur für den Fall der Fälle, dass das hier das erste und einzige Mal war, dass sie diesen Ausblick hatte. Hoffentlich nicht. Dabei spielte es keine Rolle ob sie die Statue von hier aus oder von einem klapprigen Tretboot aus sehen würde, wenn Emrys nur neben ihr war?
„War übrigens eine ziemlich gute Zahnbürste“, murmelte sie leise und nippte abermals am Kaffee. „Stabil aber nicht zu hart, der Griff lag ergonomisch in der Hand. Die Zahnpasta auch gut, ich mag keine Minze, die war also perfekt.“ Sie sah über die Schulter halb in sein Gesicht und ließ den Blick dann wieder auf die Zeitung vor ihnen wandern.

Was für ein fataler Fehler.
Eher desinteressiert huschte ihr Blick über den Rand der Tasse hinweg über die Schlagzeilen, sie blätterte eine Seite weiter und da, aus dem Augenwinkel, blieb ihr Auge an einem Namen hängen. Emrys Westbrook. Ein aufgeregtes Du bist ja in der Zeitung blieb ihr im Halse stecken, ebenso wie der Atem per se. Kandidat um den Sitz des Gouverneurs. Ihr Körper wurde starrer, ihrer Gedanken froren ein. Immer und immer wieder las sie den Satz, immer wieder in der Hoffnung, dass sie sich verlas. Dass da etwas nicht stimmte. Die Schreibweise seines Namens, dass es ein Verwandter war, gar nicht er. Aber wie sehr wollte sie sich belügen?

Ein Gedanke wie ein gezogener Jengastein, zu spät um sich für einen anderen Stein zu entscheiden. Sie hatte ihn bewegt, der Turm wackelte. Langsam, dann mehr. Die Hoffnung, dass er sich selbst retten würde erstarb, tief in ihren Gedanken ratterte es los. Gouverneur. Von New York. Gouverneur. In einer mechanischen Bewegung ließ Ellis die Tasse sinken, stellte sie ab bevor sie ihr aus der Hand gleiten konnte. Mit zittrigen Fingern suchte sie stattdessen Halt an der Theke vor ihr. Sie wollte sich nicht umdrehen, sie wollte Emrys nicht in die Augen blicken. Wenn etwas zu gut schien um wahr zu sein, dann… war es das in der Regel auch. Schlussfolgerungen ratterten wie Rädchen ineinander. Wenn er Gouverneur werden wollte, dann ließ sein Team mit Sicherheit niemanden einfach so in seinen Dunstkreis. Dann wusste man wer sie war. Dass sie hier war. Und dann würde man weiterhin wissen wollen wer sie war. Woher sie kam. Was ihr passiert war. Jede Zufriedenheit war aus Ellis Gesicht gewichen als sie sich von Emrys wegschob und mit zusammen gepressten Kiefern endlich zu ihm aufsah. Da war sie, das war die Strafe dafür, dass sie ein so schrecklicher Mensch war, das Leben hatte ihr den Hauptgewinn vor die Nase gesetzt, nur um ihn ihr in der letzten Sekunde wieder zu entreißen. Das Leben hatte ihr eine hässliche Fratze gezogen und lachte sie nun aus, eine Empfindung, die sich in ihrem Gesicht sicher nicht widerspiegelte. „Gouverneur?“ Leise Hoffnung, die da eigentlich keinen Platz hatte, schlich sich in ihre Tonlage. Hoffnung, dass er das aufklären würde. Dabei fügten sich doch alle Teile ineinander. Harvard. Seine Bekanntheit. Sein Reichtum, die plötzliche Arbeit. Tränen schimmerten in ihren blauen Augen auf, bahnten sich ungehalten den Weg über ihre plötzlich so blassen Wangen. „Bitte sag mir, dass das nicht stimmt“, flehte Ellis dennoch und hielt sich eine flache Hand vor den Mund um ein Schluchzen zu unterdrücken. „Bitte“ folgte noch einmal, aber ihre Stimme hatte keine Substanz mehr.
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RE: I like the way I can't keep my focus - von Ellison King - 11.01.2024, 18:56

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