I like the way I can't keep my focus
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#23


I like the way I can't keep my focus
,   Ellison King,   Emrys Westbrook
am 11.01.2021


„Das ist die Meinung für Leute die genug Geld haben“, stellte Ellis unumwunden fest, auch wenn sie den Kern seiner Aussage verstand und unterstützte. Sie gehörte ja nun ebenso zur Oberschicht Marke selfmade, er - soweit sie von diesem Standpunkt aus wissen konnte - war mit dem goldenen Löffel im Mund geboren und hatte sich doch nicht daran verschluckt. Zumindest wirkte er nicht so als ob ihm das Geld wichtiger wäre als Integrität oder zwischenmenschliche Beziehungen, aber womöglich vertat sie sich da. Vielleicht wollte sie es auch nur nicht sehen, weil ihre rosarote Brille die Wahrheit so schön verschleierte.
„Also erst Nachtisch und dann Nachtisch.“ Ellis zögerte, wandte sich noch einmal an die künstliche Intelligenz, die seelenruhig ihre Emrys Playlist spielte. „Alexa? Füge Afternoon Delight zur Emrys Playlist hinzu.“ Und wieder gehorchte der Sprachassistent, besser, als es jedes ihrer Kinder jemals getan hatte. Gut, der Vergleich hinkte, aber es war so angenehm, wenn man Dinge nicht zwei Mal sagen musste…
„Ich weiß nicht ob ich deine Sammlung an Harvard T-Shirts aufschlussreich und spannend finden soll oder einfach nur besorgniserregend“, zog sie ihn auf und tippelte mit den Fingerspitzen über seine nackte Schulter. „Aber davon abgesehen…“ Ellis erhob sich etwas und ließ den Blick durch die offene Räumlichkeit schweifen. Sowohl die Netflix Watchlist als auch der Inhalt des Kühlschrankes waren interessant gewesen, aber wenn sie ehrlich war, dann hatte sie alles andere nur grob überflogen, hatte sich die Illusion die sie von ihm im Kopf hatte bewahren wollen. Was, wenn sie einen Kugelschreiber gefunden hätte mit dem Logo irgendeiner Waffenfirma? Oder wirklich schlechte Literatur? „Gibt es was zu entdecken? Dann suche ich nochmal.“ Das schräge Grinsen wollte heute aus sehr guten Gründen nicht aus ihrem Gesicht verschwinden. Wieso auch? Das hier war eine sichere Seifenblase, eine, die zu schön glänzte um wahr zu sein.

Mit dem imaginären Abzeichen ausgezeichnet, dass sie den Robert-Test bestanden hatte, erhob sich Ellis aus dem Bett und warf Emrys einen skeptischen Blick zu als er verheißen ließ, dass sie immer und in jedem Alter nackt durch die Wohnung laufen könnte. „In 30 Jahren sagst du das sicher nicht mehr.“ Ebenso wie er haderte sie kurz damit ob sie aus der Sache hier eben mehr gemacht hatte als richtig war. Was wenn er sich nun innerlich überschlug und sie aus den vier Wänden raus haben wollte, damit sie nicht auf die Idee kam, dass das hier Bestand hatte? Aber so hatte sich das eben nicht angefühlt, da war mehr zwischen ihnen gewesen als bloßes Verlangen und Lust. Da war Vertrautheit, die der Zeit ihrer tatsächlichen Bekanntschaft weit voraus war. Ein Verständnis füreinander, das sie so bis dahin nie kennen gelernt hatte.

Für ihren Geschmack sah er etwas zu skeptisch aus als er das Eis probierte. „Stell dich bloß nicht an“, warnte sie ihn keck grinsend und deutete mit dem Löffel auf ihn, als wäre es eine Waffe. Aber seine Frage war berechtigt. Welche Sorte aß er da? „Eh“, machte sie kurz, verrenkte sich um einen Blick auf die Packung zu bekommen. „Oh.“ Ja gut, die Skepsis verstand sie. Ellis nahm ihm den Becher aus der Hand, stellte ihn zur Seite und schob ihm stattdessen einen Löffel von ihrem Eis in den Mund. „Probier das“, forderte sie ihn auf, obgleich er ja offensichtlich ohnehin keine andere Wahl hatte. „Wer auch immer hier deinen Einkauf regelt hat die falsche Sorte gekauft. Ich wollte Double Chocolate Brownie und nicht…“ Sie sah noch einmal auf die Packung. Irgendwas in Orange und Rosa. „Ich glaub da sind Weingummis drin.“ Nein danke. Sowas konnten nur Kinder essen. Ellis zog zumindest den Löffel aus dem anderen Becher, sodass sie nun wieder zwei hatten und aus dem einen Becher aßen.
„56“, wiederholte sie die Info, die er ihr kurz zuvor mitgeteilt hatte. „Du hast dich gut gehalten“; nickte sie anerkennend, ließ den Blick aber sicherheitshalber nochmal über seinen Oberkörper schweifen. Nur um sicher zu gehen, natürlich. Das Mamma Mia-Paradoxon zwischen ihnen würde sie irgendwann ruhen lassen, vielleicht, aber nicht heute. „Du musst den Film eben mit mir gucken, dann sind das schon zwei auf der Liste. Glaub mir, mit mir ist alles besser.“ Ziemlich von sich selbst überzeugt nickte Ellis und nahm Emrys den Eisbecher aus der Hand um mit akribischer Sorgfalt und Zielstrebigkeit einen Brocken Brownie auszugraben. „Denk nicht mal dran, dass ich den mit dir teile.“ Auf Einzelschicksale wurde bei der Verteilung von Brownies keine Rücksicht genommen.

„Ja, alter Mann, wo ist die Rutsche hier?“ Sie schaffte es verhältnismäßig lang ernsthaft und ehrlich empört zu ihm zu blicken, musste dann aber doch lachen. „Du hast dein inneres Kind damit verraten.“ Hatte er. Wie konnte man diese Möglichkeiten haben und dann nicht vollends ausnutzen? Wieder sah sich Ellis kurz im Raum um, überlegte, wie sich hier eine Rutsche integrieren ließ. „Arbeitest du also doch für Google“, erinnerte sie sich daran, dass sie diesen Scherz schon einmal gemacht hatten, damals in Harvard. Als sie beide mit seiner Platin Karte durch die Universität spaziert waren, als wäre es das Normalste der Welt. „Wieso hast du mich eigentlich nicht angerufen nachdem ich dir meine Nummer gegeben habe?“ Neugierde in der Stimme, von Vorwürfen keine Spur. Sie hatten geschrieben, demnach hatte sie seine Nummer auch und hatte ihn ja auch nicht angerufen, obwohl sie gekonnt hätte. Dann wiederum, ihr Timing war schon mehr als perfekt, wenn man es recht bedachte. Wie oft konnte ihnen das Schicksal denn schon in diesem Umfang wohlwollend in die Karten spielen? Ellis atmete tief durch, ihre Zähne schmerzten von der Kälte des Eises. „Willst du noch?“ Reichte vielleicht, der Zuckerschock war sowieso vorprogrammiert. Wieder nahm sie die Löffel entgegen und die Eisbecher, erhob sich nochmal vom Bett und brachte beides zurück in die Küche. Auf halbem Weg zurück zum Bett hielt sie inne, öffnete langsam die drei Knöpfe die sie zuvor notdürftig verschlossen hatte und ließ das Hemd von ihren Schultern gleiten. Er hatte sie nackt durch das Apartment laufen sehen wollen, dann konnte er das haben.
Langsam ließ sie sich erneut neben ihm in die weichen Decken sinken, bettete den Kopf im Kissen neben ihm und sah ihn neugierig an. „Emrys Harvard-Westbrook“; begann sie und legte die Stirn in Falten. „Bist du zu gut um wahr zu sein?“ Diese Frage stellte sie sich allmählich wirklich.
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RE: I like the way I can't keep my focus - von Ellison King - 23.08.2023, 17:56

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