memories of the very first day of our forever
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#8


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


„Natürlich würde ich mitmachen.“ Und wie natürlich das war spiegelte sich in Ellis selbstgefälliger Tonlage wieder. „Ich würde die Bühne gar nicht mehr verlassen.“ Nicht, dass es hier eine Bühne gab, viel mehr müsste man ihr das Mikrofon aus der Hand reißen. Ob das so stimme? Vielleicht. Käme drauf an wie viel sie vorher getrunken hatte und was die Liederauswahl hergab. Vor allem aber auf den Pegel. Der Gedanke wurde jäh unterbrochen als der Fremde angab ihren Antrag unterstützen zu wollen, als hätte sie hier eine Petition ausgelegt und ihr Name war der einzige auf eine sonst leeren Liste mit Unterschriften die für einen Karaokeabend hier plädierten. „Das ist wirklich sehr nett“, sprach sie an den Mann gerichtet und sah dann wieder den Barkeeper an. „Siehst du? Mit ein bisschen mehr Kultur im Abendprogramm lockst du auch bessere Kundschaft an.“ Wieder ein Seitenhieb in Richtung Bobby, den dieser bedeutend viele Augenblicke später erst unter einem latent empörten “Hey!“ als solchen erkannte. „Nichts für ungut“, sprach Ellis an den anderen Stammgast gerichtet, welcher mit den Schultern zuckte. Er mochte Ellis ja schließlich, je nach konsumiertem Bier ein bisschen zu sehr aber immer mit Anstand, Abstand und gehörigem Respekt. Immer wieder fragte er ob er sie nach Hause begleiten dürfte und jedes Mal sagte sie nein, dann stießen sie an und vertagten das genau gleiche Gespräch bis zum nächsten gemeinsamen Abend an dieser Theke.

Mikronesien musste man also nicht unbedingt kennen. „Meinst du nicht, nein?“ Sie konnte das Grinsen nicht unterdrücken, das sich da auf ihre Lippen stahl. „Da haben wir aber nochmal Glück gehabt.“ Und dann folgte doch sogar noch ein ehrliches, gelöstes Lachen, sogar von Oliver hinter der Theke. Kein spottendes Lachen, so waren sie hier alle nicht, eher ein herzhaft amüsiertes. „Ich wüsste nichtmal wo auf dem Globus ich nach Mikronesien suchen sollte.“ Mal sehen ob die Antwort auf dem Grund ihres Glases stand - nein, tat es nicht, wie sie feststellte als sie sich mit dem Handrücken über die Mundwinkel strich um den Schaum abzuwischen. „Der erstbeste normale Pub also.“ Ellis ließ sich diese Zusammenfassung des Grundes wieso er hier war kurz durch den Kopf gehen. „Ich finde das sollten wir vorne auf die Tür schreiben, oder?“ Ein Blick in die Runde, zustimmendes Gemurmel, konnte vielleicht aber auch einfach nur Gleichgültigkeit sein und dazu dienen, dass sie endlich die Klappe hielt. Hätten sich die Anwesenden von einer Frau was sagen lassen wollen wäre sie zu Hause geblieben und nicht hierher, auf der Suche nach Ruhe und Zerstreuung.
„Ein positiver, ja. So hast du ja schließlich mich kennen gelernt.“ Und das war im Allgemeinen ein großes Glück, zumindest konnte sie diesen Anschein hier vertreten. Hier musste sie nicht die Person sein die sie daheim war. Keine zu junge Großmutter, Witwe oder Alleinerziehende. Hier war sie keck, schlagfertig, anonym. Und wenn sie morgen in einem anderen Pub jemand anderes sein wollte, dann war auch das kein Problem. Nur, dass sie nirgendwo anders einkehren wollte als hier, noch weniger nun, da sich jemand hierher verirrt hatte, der ihr intellektuell das Wasser reichen konnte. Und wusste, welche Staatsform Mikronesien hatte. Wahrscheinlich kannte er auch die Währung, das Nationalgericht und die örtliche Straßenverkehrsordnung.
Doch noch bevor sie ihn danach fragen konnte spielte dumpf der Klang ihres iPhones durch den Stoff ihres Mantels. „Moment“, bat sie um eine kleine Auszeit im Gespräch, reckte sich herum und nahm den Anruf entgegen. Unnötig aufs Display zu schauen, ihrer Tochter hatte sie einen eigenen Klingelton zugeordnet. „Hey Honey“, begrüßte sie Arizona und erkannte schon an den ersten, gesprochenen Silben, dass ihre Tochter in akuter Notlage schien. Irgendwo im Hintergrund hörte Ellis das Kind bitterlich weinen und Arizona darüber in Hysterie verfallen, dass Finlay fieberte, sie noch in die Bibliothek müsse und so weiter und so fort.. „Beruhig dich, okay? Ich bin gleich da.“ Ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung, das die stoisch-entspannte Mimik aber nicht aus Ellis Gesicht wischen konnte. „Sieht so aus“, beklagte sie selbst den Verlust des freien Abends, „als müsste ich los.“ Sie nahm ihr Glas, leerte es in einem Zug und rutschte dann von ihrem Barhocker, zog den Mantel von der Lehne und dafür über die eigenen Schultern. „Verirr dich wieder hierher“, sprach sie an den Fremden gewandt und betrachtete ihn noch einen Moment, während sie die Knöpfe ihres Mantels schloss und ein paar Dollar aus der Handtasche zog, diese auf den Tresen legte um ihre Rechnung zu begleichen. „Gentlemen?“ Sie nickte in die Runde, Bobby verrenkte sich auf seinem Stuhl um ihr beim Abgang zuzusehen, aber der letzte Blick gehörte dem fremden Anzugträger. „Wir sind hier normal, aber bemerkenswert“, verdeutlichte sie noch einmal wieso sie es hier wert waren noch einmal von ihm besucht zu werden, dann drehte sie sich um und verließ den Pub. Raus aus der eigenen Welt, zurück in die bittere Realität von Windeln, laufenden Nasen und überforderten Teenagern.
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RE: memories of the very first day of our forever - von Ellison King - 31.08.2024, 12:31

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