memories of the very first day of our forever
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#7


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Emrys hegte starke Zweifel daran, dass ihre schulische und akademische Laufbahn mit der Beendigung der High School abgeschlossen worden war. Sie wirkte auf jeden Fall deutlich gebildeter als Bobby oder vermutlich sonst irgendjemand hier in der Bar; unwillkürlich ließ er den Blick kurz durch den Raum gleiten und fühlte sich bei dieser oberflächlichen Einschätzung der Anwesenden in seiner Meinung bestätigt. Nicht, dass er da jemanden verurteilen wollte, jeder konnte ja mit seinem Leben anfangen, was er oder sie wollte - Verständnis dafür, warum manche Menschen, die deutlich mehr aus sich machen konnten, weit unter ihren Möglichkeiten blieben, hatte er herzlich wenig. Seine Ausgangslage war eine denkbar schlechte gewesen, vermutlich hätte es niemanden überrascht, wenn der kleine Jack Maloney genauso wie seine Eltern und sein Bruder ambitionslos im Sumpf der Stupidität versackt wäre. Doch er hatte es vorgezogen, seinen Verstand zu benutzen, und so war ihm schon früh klar gewesen, dass er es ohne College-Abschluss nicht weit bringen würde. Woher sein Ehrgeiz und seine Intelligenz kamen, war bis heute ein Rätsel - sein IQ war nie gemessen worden, der seiner Familienmitglieder auch nicht, und dennoch zweifelte Emrys nicht daran, dass die Zahlen in der Gegenüberstellung weit auseinandergeklafft wären. Und dafür war er jeden Tag mehr als dankbar, was wohl absolut nachvollziehbar war, wenn man bedachte, wohin es ihn gebracht hatte.
Deshalb hatte er auch nur ein entspanntes Nicken übrig; eine Bierdusche konnte er locker bezahlen, das waren Peanuts für ihn. Doch er zog es vor, damit nicht anzugeben, da so etwas selten Sympathie weckte; zudem hatte sie seine Kleidung durchaus als teuer erkannt, womit ihr klar sein dürfte, das er nicht in einem Supermarkt an der Kasse arbeitete.

Sein Akzent wies ihn also als Außenseiter aus. Blieb nur zu hoffen, dass man ihn vermeintlich nach NY steckte, aber davon ging Emrys aus; er hatte immerhin lange genug mit einem Sprachtrainer gearbeitet, um sein räudigen, texanischen Trailer-Park-Slang aus seinem System herauszulöschen. Dass sich diese Mühe außer ihm und vielleicht ihr sonst wohl kaum jemand in diesem Raum gemacht hatte, stand wohl außer Frage. "Vermutlich nicht", stimmte er ihr daher zu. Wenn er sich die Mühe machen würde, konnte er seinen Texas-Slang sicher wieder heraufholen, aber darauf hatte er keine Lust. Er war froh, dieses undeutliche Genuschel abgelegt zu haben.
Das Thema Karaoke schien eines zu sein, bei dem sich der Barkeeper und die fremde Schönheit anscheinend nicht ganz einig waren. "Würdest du dann mitmachen?" wollte er wissen. Möglicherweise sehnte sie sich nur danach, um Zeugin zu werden, wie sich die Pubbesucher zum Idioten machen - und hüllte sich selbst lieber in Schweigen. "Dann würde ich mein Kreuzchen auf jeden Fall bei Ja setzen und deinen Antrag unterstützen." Innerlich verdrehte er die Augen über seine eigenen Worte. Sag mir, dass du ein Politiker bist, ohne mir zu sagen, dass du ein Politiker bist. Ebenso gut hätte er ihr seine Wahllkampfagenda in die Hand drücken und "Wähl mich!" rufen können, dabei gefiel es ihm eigentlich, wie anonym sie gerade miteinander waren; sie hatten sich ja nicht einmal namentlich vorgestellt. Und nach dem Geschleime in Harvard war er froh, dass hier niemand wusste, wer er war. Möglicherweise hatte er ja Glück und sie bezog seine Aussage nicht direkt auf seinen Job, sondern nahm vielmehr an, dass er an Politik interessiert war - oder eben einfach ein Klugscheißer. Nun ja, ein klavierspielender Klugscheißer, um genau zu sein, aber er würde sich hüten, sich hier als musikalisch zu outen. Nachher weigerte sich der Barkeeper noch, ihn weiterhin zu bedienen, und welchen Grund hätte er dann noch, an diesem Tresen herumzusitzen?

Er war auf jeden Fall noch nicht bereit, wieder zu gehen. Nicht bei dieser angenehmen Gesellschaft... Und damit meinte er weder den Barkeeper noch Bobby, der ihn gerade - zugegebenermaßen wohlverdient - als Klugscheißer betitelte. Hatte er sich gerade gedanklich gerade selbst noch so bezeichnet, gefiel es ihm nicht, dass der ranzige Typ am Tresen ihn derart nannte. "So etwas nennt man Bildung. Das ist das, was passiert, wenn man in der Schule zuhört", erwiderte er kurz angebunden, ergänzte aber dann in milderem Tonfall, weil er auch nicht wie ein Arsch rüberkommen wollte: "Mikronesien ist aber auch kein Land, das man unbedingt kennen muss, glaube ich." Er wusste es auch nur, weil er mit einem Deppen aus der Footballmannschaft eine Wette gehabt hatte - wer sich innerhalb von zwei Wochen mehr Länder inklusive Hauptstadt merken konnte. Natürlich hatte Emrys haushoch gewonnen, sich 195 Hauptstädte zu merken, war für ihn keine große Kunst gewesen. Der Footballspieler dagegen hatte dem Clichée alle Ehre gemacht.
"Dein Geheimnis ist bei mir sicher", versprach er seiner Gesellschaft in vertraulichem Tonfall, während er sich leicht zu ihr herüberlehnte, ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen. Oh ja, diese Augen, in die er da blickte, konnten sich auch aus der Nähe sehen lassen. Es kam nicht oft vor, dass Emrys eine Frau auf Anhieb derart gut gefiel, und er konnte nicht umhin, sich noch einmal zu fragen, was für ein verrückter Zufall es wohl war, dass sie sich hier getroffen hatten. Blieb nur zu hoffen, dass es kein einmaliges Treffen blieb.
Mit einem Lachen richtete er sich wieder auf und trank erneut einen Schluck Bier. "Davongelaufen ist vielleicht der falsche Begriff." Obwohl, wenn man es genau nahm, war er ja schon froh, der Veranstaltung entkommen zu sein, auch wenn sie nicht gänzlich schrecklich gewesen war - nur eben sehr lang. "Ich war bei einem ziemlich steifen Event und brauchte zum Runterkommen jetzt etwas Normalität, ehe ich mich in mein Bett legen kann." Er unterdrückte den Impuls, klarzustellen, dass er kein Kommunist war, sondern Demokrat; am Ende verstrickten sie sich noch in eine politische Diskussion, und von der Arbeit hatte er für heute ausnahmsweise mal genug. "Das hier war einfach das erstbeste Pub, dass ich gefunden habe, als ich mich spontan entschied, noch irgendwo einzukehren. Zufall also." Sein Blick ruhte in ihrem. "Ein positiver, hoffe ich."
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RE: memories of the very first day of our forever - von Emrys Westbrook - 26.08.2024, 14:42

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