memories of the very first day of our forever
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#1


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Es war ein langer Tag gewesen, und eigentlich war Emrys froh, nun endlich Feierabend machen zu können. Doch bereits als er auf seinen wartenden Wagen zutrat und der Fahrer ihm die Tür öffnete, wurde ihm klar, dass er jetzt nichts einfach ins Bett würde gehen können. Dafür war er einfach zu aufgekratzt, der Tag war immerhin nicht einfach nur vollgepackt gewesen, sondern obendrein adrenalinfördernd produktiv. Zwar hätte er auf diese nicht endenwollende Lobhudelei in Harvard verzichten können, immerhin stellte er der Westbrook-Bibliothek alle zwei Jahre eine großzügige Summe zur Verfügung, damit diese ihren Bestand aufstocken konnte. Doch er genoss das netzwerken und nahm natürlich auch gern die positive Presse mit, die ihm in seinem bald startenden Wahlkampf nur von Vorteil sein konnte. Gouverneur war das Amt, das er anstrebte, und er würde sich davon nicht abhalten lassen. Auch nicht von seinem Handy, das nun durchdringend in der Tasche seines Jacketts vibrierte. Vermutlich war es sein Stabschef, aber der würde auch mal einen Moment ohne ihn auskommen. Emrys brauchte jetzt, nach Stunden zwischen Champagner und Canapées, dringend ein Bier.
"George, halten Sie bitte bei der nächstbesten Kneipe oder Ähnlichem, an dem wir vorbeikommen", bat er seinen Fahrer und zog sein Telefon aus der Tasche. Natürlich war es Fred gewesen,, der eben noch versucht hatte, ihn zu erreichen. Emrys zögerte kurz, überlegte, ob er zurückrufen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Wenn es wirklich wichtig war, würde Fred ihm eine Nachricht schreiben. Sein Daumen scrollte durch seine Kontaktliste, die zwar lang war, jedoch fast ausschließlich aus arbeitsrelevanten Kontakten bestand. Der Politiker hatte viele Bekanntschaften, aber nicht viele Freunde.
Sein Blick blieb an dem Namen Natalia hängen, und er zögerte erneut. Natalia lebte hier in Boston, und sie hatten sich eine Weile getroffen. Es war immer nett mit ihr gewesen, allerdings war sie nicht gerade gut damit umgegangen, als er die Sache schließlich beendet hatte, weswegen es vermutlich eher unklug war, den Kontakt zwischen ihnen wieder aufleben zu lassen. Ohnehin war ihm gerade eigentlich nicht nach einer Frau in seinem Leben, und so steckte er das Handy seufzend wieder weg. Sollte der New York Chronicle doch ruhig noch einen Artikel über ihn schreiben, in dem er analysierte, warum ein Mann wie Emrys Westbrook noch immer Single war. Was kümmerte es ihn.

Als der Wagen hielt, blickte Emrys auf. Sie hatten vor einem Pub angehalten, nicht gerade die Art Etablissement, in dem ein Mann mit seinem Bankkonto sich für gewöhnlich herumtrieb. Und dennoch, als George ihn fragend anblickte, nickte er und stieg in einer eleganten Bewegung aus dem Wagen. Nachdem er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte, überquerte er in wenigen Schritten den Bürgersteig und zog die schwere, dunkelgrün lackierte Holztür auf, die ihn in das Pub hineinführte. Dunkle, ausgetretene Holzdielen knarzten unter seinen Füßen, als er in den Raum hineinschritt und sich umsah. Es war voll, alle Tische schienen belegt, und das Surren eines Gesprächsteppichs verwob sich mit dem Klirren von Gläsern und dem herumrücken von Stühlen. Emrys spürte den ein oder anderen Blick auf sich ruhen; vermutlich fragten sich einige Gäste, was ein so schnieker Kerl, in einem offensichtlich teuren Anzug, in einem Pub zu suchen hatte. Emrys störte sich jedoch nicht daran, sondern blickte sich selbstbewusst um, auf der Suche nach einem freien Plätzchen, an dem er ein Bier genießen konnte. An der Bar entdeckte er einen freien Hocker, zwischen einem gewichtigen Kerl mit einem bezaubernden Maurer-Dekoletee und einer blonden Frau, die erstaunlich anmutig auf ihrem Stuhl thronte. Ihr Rücken hatte etwas an sich, das ihm spontan gefiel, und so trat er an den Stuhl heran und bestellte beim Barkeeper ein Bier, ehe er sich mit einem Lächeln nach rechts wandte und die Blondine ansprach. "Entschuldigung, ist der Platz hier noch frei?"
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#2


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


„Aber meine Hypothese dazu ist, dass der Mensch-“
„Was ist das?“
„Was?“
„Hypotheke?“ Der schwergewichtige Mann mit den doch irgendwie vertrauensvollen, dunkelbraunen Augen, die ihn aussehen ließen wie Bambi mit dramatisch hohem Cholesterinwert, klopfte auf das Holz der Bar vor ihnen, wobei seine schwitzigen Hände leicht klebrige Geräusche machte, als sie sich von der Theke lösten. Kurz sah Ellis auf die feuchten Flecken die auf dem Holz zurück blieben, in die der Zahn der Zeit schon diverse Dinge geritzt und hinterlassen hatte. “Das hier?“
Ah. Man musste ja immer vom Minimum der zu erbringenden Leistung des amerikanischen Bildungssystems ausgehen. „Nein, Bobby, das ist eine Bar. Oder Theke. Eine Hypothek ist eine finanzielle Sicherheit“, große Worte für einen Mann der sein erwirtschaftetes Geld scheinbar in den Erhalt dieses Pubs steckte, „aber ich meine eine Hypothese. Und eine Hypothese ist eine… nun, eine Annahme, die aber noch nicht wissenschaftlich bewiesen ist. Weißt du was ich meine?“ Er schüttelte nicht den Kopf, aber klar war, dass sich sein kleiner Geist aus der Konversation zurückzog, stattdessen tropfte sein Blick wie Honig von einem Löffel, langsam und zäh, an Ellis Körper herab und blieb an ihrem Dekolleté hängen. Kurz nur, dann wurde sich Bobby dessen gewahr und nickte. „Okay.“
Alles klar, danke fürs Gespräch. „Ich bräuchte dringend noch eines hier von“, ließ sie Oliver wissen, der hinter der Bar stand und dem Geplänkel zwischen den beiden so unterschiedlichen Gästen schmunzelnd folgte, während er, als wäre er einem amerikanischen Spielfilm entsprungen, meditativ mit einem karierten Handtuch ein Glas abtrocknete. „Und dazu bitte noch jemanden mit dem ich mich über Menschlichkeit und Monstrosität in der Literatur unterhalten kann, hast du sowas da?“
Oliver nahm das leere Glas vor Ellis weg und tauschte es gegen ein neues, gefülltes aus. “Da, hab dir einen Streber bestellt.“ Huh?

"Entschuldigung, ist der Platz hier noch frei?“ Es hatte in ihrem Leben schon wirklich sehr, sehr viele Momente gegeben in denen sie sehr, sehr viel cleverer ausgesehen hatte als jetzt und nur wenige, in denen sie eindeutig dämlicher aus der Wäsche geguckt hatte. Aber als Ellis sich umdrehte um der Stimme schräg hinter sich einem Gesicht zuzuordnen drohte sie kurz in Schieflage auf ihrem Barhocker zu geraten. Streber, das stimmte. Ein sehr gutausgehender Streber noch dazu. Ellis drehte sich kurz wieder nach vorn, bedachte Oliver mit einem skeptischen Blick und nickte dann dem Fremden zu. „Wäre er, aber unter einer Bedingung.“ Sie ließ ja nicht gleich jeden hier neben sich sitzen. „Ich sitze nur neben Leuten mit wenigstens einem mittleren Bildungsgrad und denen, die nicht schmatzen.“ Da war sie rigoros.
“Hey“, meldete sich Bobby auf dem übernächsten Platz da wieder zu Worte, “meinst du damit mich?“ Seufzend senkte Ellis das Kinn etwas und bedachte ihren abgeschriebenen Gesprächspartner mit einem mitleidigen Blick. „Ja, Bobby, deswegen war der Platz zwischen uns frei.“ Das schien er persönlich zu nehmen. Ein wenig, zumindest, schien er beleidigt von Ellis Worten, was ihr wiederum ein wenig leid tat, aber auch wenn man sich in einem Pub befand konnte man Prioritäten haben. Oder zumindest einen gewissen Standart. “Oli, du solltest ihr Hausverbot geben, hörst du? H.A.U.S.F.E.R.B.O.T.“
Die Blonde ließ den Kopf in den Nacken fallen, stand von ihrem Barhocker auf und rutschte einen weiter nach rechts, nahm ihr Bierglas mit sich und tippte dann mit der Hand auf den Stuhl, auf dem sie eben noch gesessen hatte, machte dem dunkelhaarigen Anzugträger, der hier so fehl wirkte die Queen auf dem Wochenmarkt, somit deutlich, dass dieser Platz für ihn war. „Immer etwas mehr als eine Armlänge Abstand zu dem da“, ließ sie ihn halblaut wissen und sah ihm dann zum ersten Mal so direkt in die Augen, dass sie kurz stutzen musste. „Dich hab ich hier noch nie gesehen. Oder?“ Das wäre ihr, da war sie sich sicher, aufgefallen und im Gedächtnis geblieben.
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#3


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Der interessante Rücken, oder vielmehr die Frau, zu der ebendieser gehörte, drehte sich um und geriet dabei leicht in Schieflage, sodass Emrys' Hand kurz zuckte, sie aufzufangen; sie schien sich aber dann doch selbst halten zu können, sodass er den Hilfeversuch doch lieber unterließ. Nicht, dass morgen die Schlagzeile, ein New Yorker Politiker begrabsche in einer Bar fremde Frauen, in den Bostoner Zeitungen die Runde machte. Leicht runzelte sich seine Stirn ob der Irritation ihres Blickes; das hier war eine volle Bar, war es da wirklich so erstaunlich, dass jemand einen der letzten freien Plätze belegen wollte? Oder hatte sie ihn erkannt? Das würde ihn überraschen, immerhin war der Wahlkampf noch nicht gestartet und sein Gesicht noch nicht über die Grenzen New Yorks bekannt. Aber vielleicht war sie ja eine New Yorkerin, oder eine Harvard Alumni. Auch dann könnte sie sein Gesich möglicherweise schon einmal gesehen haben. Möglicherweise fragte sie sich auch, warum jemand in seinem Aufzug sich in einer Bar wie diese verlaufen hatte. Vielleicht fand sie ihn auch schlichtweg attraktiv, das kam ja durchaus öfter vor. Da sie von vorn noch hübscher anzusehen war als von hinten, schenkte er ihr ein kleines, charmantes Lächeln, während er auf ihre Antwort wartete. Falls sie dafür offen war, schadete ein kleiner Flirt ja nicht.
Aha, an die Belegung des Platzes war eine Bedingung geknüpft. Aufmerksam blickte Emrys die Fremde an, registrierte ihr dichtes, blondes Haar, das Glitzern ihrer Augen, die ansprechenden Gesichtszüge, während sie mit einem Kerl sprach, der ebenfalls einen Platz an der Bar belegte. Sie war wirklich attraktiv, fand er und ertappte sich bei dem Gedanken, wie froh er war, diese und keine andere Bar betreten zu haben. "Mit dem Bildungsgrad kann ich auf jeden Fall dienen, auch wenn ich entsprechende Nachweise gerade leider nicht mit mir führe. Das mit dem Schmatzen... Ich denke, das bekomme ich hin. Zumal ich eigentlich nur etwas Trinken will." Er deutete auf das Bierglas, dass der Barkeeper gerade vor ihn hinstellte. "Ich hoffe, Alkohol ist kein Problem?"

Als sie ihm gnädigerweise einen Platz zuwies, nahm er dort platz und spürte noch ihre Wärme, die sie auf dem Stuhl hinterlassen hatte. Sein Blick glitt kurz zu dem übergewichtigen Kerl, fragend zog er eine Augenbraue hoch. "Hausverbot schreibt man aber mit V", stellte er klar, woraufhin der Typ ihn mit bösen Blick ansah. "Willst du mich für dumm verkaufen? Das schreibt man mit H am Anfang!"
Ooookay. Emrys unterdrückte ein Augenrollen und wandte seine Aufmerksamkeit dann lieber nach links zu der blonden Lady. "Ich gebe lieber auf", murmelte er. Gegen so einen Kerl konnte man nicht gewinnen, dazu war das intellektuelle Gefälle einfach zu groß. Zudem, wenn er die Wahl hatte, sich mit einer schönen Frau oder einem angetrunkenen, ungepflegten Typen, der vermutlich kurz unter der Grenze des Mittelstandes kratzte, fiel die Entscheidung nun wirklich nicht schwer.
"Der beißt mich aber nicht, oder? Meine Tollwutimpfung wird erst nächste Woche aufgefrischt." Hinter seinem Rücken brummelte der Typ irgendwas, aber Emrys ignorierte ihn. Stattdessen zog er sein Glas an sich heran und nahm einen Schluck, ehe er es wieder abstellte und dann die Knöpfe seines Jacketts öffnete. An einer Bar mit einem geschlossenen Jackett zu sitzen, das war wie ein Stock im Allerwertesten. Und wer mochte schon einen bestockten Menschen? Höchstens jemand, der selbst zu dieser Sorte Mensch gehörte, aber so sah sie auf keinen Fall aus. Für einen kurzen Moment wünschte er sich, etwas legerer gekleidet zu sein, aber das war nun mal er, und dazu stand er. Immerhin kam er ja auch von einer Veranstaltung und nicht vom Herumlümmeln auf seiner Couch.
"Gut beobachtet", antwortete er ihr, nachdem er es sich also ein wenig bequemer gemacht hatte. "Aus der Art deiner Fragestellung schließe ich, dass du durchaus öfter hier anzutreffen bist? Vielleicht kannst du mir ja etwas von der Karte empfehlen, dass ich auf keinen Fall verpassen darf?" Nicht, dass er vorhatte, jetzt noch etwas zu Essen, immerhin hatte es in Harvard genug Canapées gegeben, aber wenn jemand wie diese Frau hier öfter anzutreffen war, schloss er nicht aus, diese Bar ein zweites Mal aufzusuchen.
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#4


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


So war das eben in einer eingeschworenen Gruppe in einem Mittelklassepub, in dem jeder irgendwie einen Stammplatz an der Theke hatte und doch niemand wusste wie die andere Person mit Vornamen hieß. Bobby hieß auch nicht wirklich Bobby, nicht einmal Bob oder das anverwandte Robert; irgendwann hatte an seinem Shirt ein Sticker geklebt, Herkunft unbekannt, auf dem Bobby gestanden hatte und ab da war es das dann gewesen, beziehungsweise viel eher: er war es dann gewesen. Der Bobby im Raum. Irgendwer hatte sie einmal Blondie genannt und dafür zahlen müssen. Wortwörtlich. Die Rechnung des Abends war auf ihn gegangen, weil das ungeschriebene Gesetz galt, dass hier niemand aufgrund seines Erscheinungsbilds betitelt wurde. Deswegen, aber auch nur deswegen, verkniff Ellis es sich dem Neuling im Streberoutfit zu sagen, dass ein dokumentierter Nachweis seiner akademischen Laufbahn nicht nötig war weil sein wirklich sehr ansprechendes Gesicht in Kombination mit der Klamotte als Zeugnis darüber vollkommen ausreichte.
Als ob Alkohol ein Problem wäre! „Natürlich nicht, das ist unser größter gemeinsamer Nenner hier. Traurigerweise.“ Sich mit seinem Alkoholkonsum zu rühmen lag ihr nun wirklich fern, aber in den seltensten Fällen kam wohl jemand hierher um sich eine schöne, eisgekühlte Apfelschorle zu gönnen. Selbst wenn, wäre natürlich okay, aber die literarischen und intellektuellen Ergüsse ihrer Mittrinker würde Ellis im Leben nicht nüchtern aushalten. Sie rutschte einen Platz weiter, machte somit Platz für den Neuzugang und musste schnaubend ausatmen, als Bobby sich schon wieder echauffierte. „Siehst du womit ich hier arbeiten muss?“ Eine nickende Kopfbewegung in Richtung des Bierbäuchigen. Wirklich, wieso sie sich das selber immer wieder antat… „Bisher hat er noch niemanden gebissen, aber das heißt nichts. Glücklicherweise wirkt Alkohol ja desinfizierend.“ Ellis schob ihm sein von Oliver bereitgestelltes Bierglas drei Zentimeter näher, auffordernd gar, und griff dann zum eigenen Glas um im Ansatz mit dem Fremden neben ihr anzustoßen. Immerhin, sein Eintreffen schien vielversprechend zu sein, jemand der ganze Sätze formulieren konnte, weltmännisch genug aussah um zu wissen, dass eine Welt außerhalb dieses Stadtteils existierte und Humor hatte. Letzteres, das war das Wichtigste.

„Dann und wann.“ Sie wog den Kopf ein wenig zur Seite und blickte den Mann interessiert an. „Sowas fragt man eine Lady im Pub nicht.“ Vielleicht war sie wirklich zu oft hier, zuletzt zumindest, auf der Suche nach Inspiration für ihr neues Buch. Aber wie oft war zu oft?
“Leider nicht so oft wie er“, entschied Oliver sich ins Gespräch einzumischen und nickte seitlich auf Bobby. Gut, dessen Gesäß hatte schon einen definitiven Abdruck in den Barhocker gebrannt auf dem er da saß, fehlte nur noch die Plakette mit seinem Namen an der Bar, genau an diesem Platz. Ellis sah dem Barkeeper einen Moment hinterher und reckte sich dann um an eine der Speisekarten zu kommen, das Material klebte standesgemäß an ihren Fingern und löste den Drang aus aufzustehen und sich die Hände zu waschen. „Kommt drauf an was du magst, für mich kommen hier immer nur die Pommes in Frage weil Monsieur nicht einsieht vegane Optionen auf die Speisekarte aufzunehmen.“ Wieder ein böser Blick in Richtung Oliver, dem das nicht hätte egaler sein können, scheinbar. „Aber die kann ich empfehlen, solange du danach nichts mehr vor hast. Hoher Fett- und Salzgehalt und geringe Nährstoffdichte, du weißt schon. Aber dafür sind sie wirklich lecker. Ansonsten sollen die Hamburger gut sein, hab ich gehört.“ Sie zuckte mit den Schultern, hatte sie hier nie gegessen, würde vermutlich auch nie passieren.
„Du bist auch wirklich gar nicht von hier, oder?“ Erweiterte Fragestellung von zuvor. Sein Akzent, definitiv nicht aus Boston. „Nach Boston verlaufen und dann ausgerechnet in diesen Laden hier gestolpert.“ Ellis schnalzte leise, legte die Unterarme auf die Theke vor sich und lehnte sich entsprechend vor. „Du hättest dir wenigstens den Abend mit dem Pub Quiz aussuchen sollen, dann kann man Gratisbier gewinnen.“ Sie sah ihn noch einmal abschätzend von oben bis unten an. „Du siehst aus als wüsstest du was die Hauptstadt von Mikronesien ist.“
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#5


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,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Das stimmte wohl, ihr größter gemeinsamer Nenner war aktuell der Alkohol. Aber noch hatten sie ja kaum mehr als ein paar Sätze miteinander gesprochen; es bestand also noch die Hoffnung, weitere Übereinstimmungen zu finden. Wobei, eigentlich fielen ihm direkt welche ein. "Nun, wir sind beide in dieser Bar, wir scheinen beide über einen Schulabschluss zu verfügen" - ein Seitenblick zu Bobby machte klar, dass er nicht daran zweifelte, dass auch Menschen ohne besagten Abschluss hier herumlungerten - "und wir legen es wohl beide nicht darauf an, von Bobby gebissen zu werden. Wenn das keine gute gemeinsame Basis ist, dann weiß ich auch nicht." Das Glitzern in seinen Augen verriet, wie sehr er sich über diese Konversation amüsierte. Irgendwie waren sie direkt in einer humorvollen Schiene gelandet, was eine angenehme Abwechslung zu dem ernsten Event darstellte, von dem er gerade kam. Lachen stand in Harvard nicht sonderlich weit oben in der Prioritätenliste, bei aller Liebe zu seiner Alma Mater - für ihren Humor war sie nicht bekannt.
Bobby schien nicht sonderlich über die Kommentare der Fremden und Emrys zu sein, aber das war dem Politiker herzlich egal; er war es ja ohnehin gewohnt, es nicht jedem Menschen recht machen zu können. Egal, welches Wahlversprechen er abgeben würde, es würde immer Leute geben, die kritisierten und meckerten. Sollten sie doch, aber sie sollten Emrys gefälligst nicht auf den Sack gehen damit. Und Bobby demnach auch nicht, weshalb er seine Aufmerksamkeit lieber der unerwarteten Entdeckung des Abends zuwandte. Er lachte auf, als sie anmerkte, dass Alkohol glücklicherweise eine desinfizierende Wirkung hatte. "Also, sollte er mich beißen, übergieß mich bitte mit meinem Bier, okay?" fragte er und ließ seine Grübchen sehen. Es schadete mit Sicherheit nicht, hier mal ein paar Geschütze aufzufahren. Emrys beglückwünschte sich zu der Entscheidung, Natalia nicht zu kontaktieren. Wie immer hatte sein Instinkt ihn zuverlässig geleitet.

Emrys stupste mit seinem Glas leicht gegen ihres, was ein leises Klirren verursachte, ehe er es an die Lippen hob und trank. Währenddessen verarbeitete er ihre Antwort, die ihn nicht überraschte. Sie sah nun wirklich nicht wie jemand aus, der jeden Abend an diesem Tresen anzutreffen war, dafür war sie viel zu gepflegt und wortgewandt. Vermutlich war sie eine der Menschen, die einfach ab und zu mal auf einen Absacker hierherkamen, wenn ihnen danach war. Was die Chancen, sie hier zufällig wiederzutreffen, natürlich deutlich minimierte, aber der Barkeeper schien sie ja zumindest etwas zu kennen. Und zur Not hatte er Fred, den Spürhund seines Vertrauens, der hatte bisher noch alles gefunden, was Emrys ihn hatte suchen lassen.
Seine eigenen, voraneilenden Gedanken zurückpfeifend, kehrte Emrys ins Hier und Jetzt zurück. Eine Lady? Erneut warf er Bobby einen kurzen Blick zu. "Ich hab ja auch nicht ihn gefragt, sondern dich", scherzte er, wohl wissend, dass sie von sich selbst und nicht der immer noch unwillig vor sich hin murmelnden Gestalt gesprochen hatte. Aber im Grunde spielte es ja auch keine Rolle, wie oft sie hier war - Hauptsache, sie war heute hier. Als der Barkeeper sich in das Gespräch einschaltete, zog Emrys die Augenbrauen hoch. Aha, der wünschte sich also, die Unbekannte wäre öfter hier? Oder einfach nur, Bobby wäre es weniger? Vermutlich war es eine Mischung aus beidem; weniger von dem täglichen, abgerockten Kerl und dafür mehr einer schönen Frau. Welcher Mann würde das nicht bevorzugen?
Eine Vegetarierin also. Emrys speicherte diese Information ab. "Gute Pommes sind durchaus nicht zu verachten", stimmte er ihr zu. Doch wenn er wieder hierherkommen sollte, würde er es vermutlich tatsächlich mal mit einem Burger zu den Pommes versuchen, Fleischgenießer, der er war (wenn auch in Maßen, der Gesundheit wegen).

"Nein, so gar nicht", bestätigte er ihre Vermutung. "Was hat mich verraten?" Zwar hatte er während seines Studiums in Boston gewohnt, die Stadt jedoch danach direkt wieder verlassen. Die Stadt wurde jedes Jahr von Anwälten, die hren Abschluss frisch in der Tasche hatten, förmlich überschwemmt; da einen Job zu ergattern, wäre Emrys mit seinem Zeugnissen mit Sicherheit gelungen, aber sein Zuhause war eben in New York. Schließlich hatte er Charles ja auch ein Versprechen gegeben, dass er Jahre später hatte einlösen müssen, als sein Adoptivvater schließlich schwer erkrankte. Ein Quizabend? Zum Glück hatte er den nicht erwischt. "Gibt es hier auch Karaoke-Abende?" fragte er misstrauisch, den das wäre auf jeden Fall ein Contra für dieses Etablissement. Schief jaulende Menschen, die glaubten, die nächste Celine Dion zu sein - für so etwas hatten Emrys' Ohren keine Geduld. "Palikir." Die Hauptstadt von Mikronesien, also bitte. War dass das Niveau der Fragen, die gestellt wurden? Aber gut, man durfte auch nicht vergessen, dass das hier ein Pub war. Für normale Menschen, nicht so einen intellektuellen Überflieger wie er, und, offensichtlich auch sie. "Wie oft hast du das Quiz schon gewonnen?" Er zweifelte nicht daran, dass sie ebendies getan hatte. Mehrfach. Bobby hier steckte sie auf jeden Fall mit Leichtigkeit in ihre Tasche.
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#6


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


So einer war er also. Einer, der im Kopf Listen führte. So souverän wie er da schnell ihre Gemeinsamkeiten und Überschneidungen auflistete und für sie verbal zusammenfasste. Ellis Mundwinkel zogen sich beeindruckt nach unten und sie gestand ihm ein knappes Nicken zu. „Die High School hab ich gerade so abgeschlossen“, erklärte sie und befand sich damit jenseits der Wahrheit, „und damit hab ich hier einigen etwas voraus.“ Sie sah wieder zu Bobby, hätte sie nicht getan, wenn sie nicht gewusst hätte, dass er es durchaus in sich hatte einen Abschluss zu machen aber einfach nicht mehr hin gegangen war weil, seine Worte: Das Fernsehprogramm ihn mehr gereizt hatte als die Schule. Absurd, so grotesk, dass es sie schon wieder amüsierte. Für jemanden aus der bildungsfernen Schicht wie sie war die Möglichkeit gute Schulen zu besuchen ein Privileg, sie würde sich lieber ein Bein abhacken als die Chance auszuschlagen eine gute Institution zu besuchen. Eben anders als andere Stammgäste in diesem Pub.
„Bierdusche also.“ Verstand sie, konnte sie. „Ich werde deiner Bitte nur zu gerne nachkommen aber nur, dass du bescheid weißt: das Bier geht dann auf deinen Deckel.“ Sie würde kein Bier bezahlen, das sie wegschüttete. Überhaupt sah der handsome strenger aus wie jemand der aus Versehen den ganzen Pub hier kaufte wenn er seine Rechnung begleichen wollte, weil er fernab jeder Realität lebte und nicht wusste was die Dinge kosteten. Ein Leib Brot? Gerne. Hier sind 300 Dollar, stimmt so. Sein Anzug war doch sicher mehr wert als die hier Anwesenden, vor allem aber ihre körpereigenen Entgiftungsorgane, nein wirklich, Händler für den Organschwarzmarkt würden hier an ihre Grenzen stoßen. Abgesehen von Ellis, vielleicht, und ihren neuen Bekannten. Sie trank zwar gern hier und da ein Glas, aber niemals so viel, als dass sie die Kontrolle verlor. Weder wollte sie das, noch könnte sie sich das leisten.

„Dein Akzent“, antwortete sie postwendend darauf, was seine mangelnde Standorttreue verraten hatte. „Trainiert sich mancher natürlich ab, aber eigentlich eher nicht an einem Ort wie diesem hier.“ Sie tippte mit Zeige- und Mittelfinger gegen die Theke; egal wie fein die Leute sich im Berufsleben gaben, egal wie lang der Stock im Arsch - kam man an einen Ort wie diesen, dann war man wer man war und nicht, wer man da draußen sein musste. An der Börse, in der Kanzlei, im OP Saal. Da wo sich die Streber eben so hin verirrten.
„Leider nicht“, sagte sie, Gott sei Dank nicht, niemals, egal was sie sagt, antwortete der Barkeeper gleichzeitig. Olivers und Ellis Blicke trafen sich, offensichtlich uneinig über den Karaoke Abend. „Ich möchte“, sagte sie schließlich und sah vom Barkeeper zum Mann neben sich und wieder zurück. „Er weigert sich einen zu veranstalten.“ Wird nicht passieren, antwortete er, betonte jede Silbe unnötig deutlich. Frustriert atmete Ellis aus. „Hier gibt es keine Karaoke“, antwortete sie also schließlich, noch lange nicht fertig mit dem Thema. „Aber es gibt ein Klavier.“ Oliver ließ den Kopf in den Nacken sinken. Ist nicht gestimmt. „Noch nicht meinst du.“ Ein Grinsen auf den Lippen, triumphierend, als hätte man ihr gerade olympisches Gold im Diskutieren verliehen.

Palikir. Bis zu diesem Moment war sich Ellis nicht einmal sicher gewesen ob Mikronesien wirklich existierte oder es ein fiktiver Nachbartort von Mittelerde war. Beeindruckt und irritiert zugleich sah sie den Mann einen Moment an, blinzelte zwar, mehr passierte aber nicht. “Klugscheißer“, fiel Bobbys Urteil zum Thema aus. „Woher weißt du sowas?“ Ellis nahm ein paar Schlücke aus ihrem Getränk „Woher weiß man sowas?“ Ratlos ging der Blick zu den anderen Anwesenden.
„Noch nie“, beantwortete sie stattdessen seine Frage wie oft sie das Quiz schon gewonnen hatte. „Ich mach nicht mit. Es ist leicht die Cleverste im Raum zu sein wenn es keinen Gegenbeweis gibt.“ Ein Irrglaube, dass sie ein großes Allgemeinwissen besaß. Sie war nischenbegabt, wusste, dass Tennessee Williams am Deckel seiner Augentropfenflasche erstickt war. Oder in welchem Verhältnis Krieg und Frieden mit Alice im Wunderland und Ulysses stand. Aber wenn man sie fragte wer Außenminister des Landes war - keine Ahnung. „Ich lebe hier die Illusion von Intelligenz, verrat mich nicht.“ Ein ehrliches Lachen perlte über ihre Lippen, kein Moment, der zu lange währen durfte. Hier gab man nicht zu viel von sich preis. „Also“, begann sie stattdessen wieder mit einer Gegenfrage. „Vor wem bist du weggelaufen, dass du so“ und sie machte eine vage Bewegung in Richtung seines Auftretens, „ausgerechnet hier gestrandet bist?“ Der Kapitalismus war es wohl nicht, dafür sprach sein stinkreiches, weltmännisches Auftreten. Vielleicht das Gegenteil davon. „Kommunisten?“ Weil - warum nicht? Ihre trockene Tonlage sprach jedenfalls dafür, dass das ganz normal war. Everyday business. Passierte ihnen allen hier ständig.
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#7


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,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Emrys hegte starke Zweifel daran, dass ihre schulische und akademische Laufbahn mit der Beendigung der High School abgeschlossen worden war. Sie wirkte auf jeden Fall deutlich gebildeter als Bobby oder vermutlich sonst irgendjemand hier in der Bar; unwillkürlich ließ er den Blick kurz durch den Raum gleiten und fühlte sich bei dieser oberflächlichen Einschätzung der Anwesenden in seiner Meinung bestätigt. Nicht, dass er da jemanden verurteilen wollte, jeder konnte ja mit seinem Leben anfangen, was er oder sie wollte - Verständnis dafür, warum manche Menschen, die deutlich mehr aus sich machen konnten, weit unter ihren Möglichkeiten blieben, hatte er herzlich wenig. Seine Ausgangslage war eine denkbar schlechte gewesen, vermutlich hätte es niemanden überrascht, wenn der kleine Jack Maloney genauso wie seine Eltern und sein Bruder ambitionslos im Sumpf der Stupidität versackt wäre. Doch er hatte es vorgezogen, seinen Verstand zu benutzen, und so war ihm schon früh klar gewesen, dass er es ohne College-Abschluss nicht weit bringen würde. Woher sein Ehrgeiz und seine Intelligenz kamen, war bis heute ein Rätsel - sein IQ war nie gemessen worden, der seiner Familienmitglieder auch nicht, und dennoch zweifelte Emrys nicht daran, dass die Zahlen in der Gegenüberstellung weit auseinandergeklafft wären. Und dafür war er jeden Tag mehr als dankbar, was wohl absolut nachvollziehbar war, wenn man bedachte, wohin es ihn gebracht hatte.
Deshalb hatte er auch nur ein entspanntes Nicken übrig; eine Bierdusche konnte er locker bezahlen, das waren Peanuts für ihn. Doch er zog es vor, damit nicht anzugeben, da so etwas selten Sympathie weckte; zudem hatte sie seine Kleidung durchaus als teuer erkannt, womit ihr klar sein dürfte, das er nicht in einem Supermarkt an der Kasse arbeitete.

Sein Akzent wies ihn also als Außenseiter aus. Blieb nur zu hoffen, dass man ihn vermeintlich nach NY steckte, aber davon ging Emrys aus; er hatte immerhin lange genug mit einem Sprachtrainer gearbeitet, um sein räudigen, texanischen Trailer-Park-Slang aus seinem System herauszulöschen. Dass sich diese Mühe außer ihm und vielleicht ihr sonst wohl kaum jemand in diesem Raum gemacht hatte, stand wohl außer Frage. "Vermutlich nicht", stimmte er ihr daher zu. Wenn er sich die Mühe machen würde, konnte er seinen Texas-Slang sicher wieder heraufholen, aber darauf hatte er keine Lust. Er war froh, dieses undeutliche Genuschel abgelegt zu haben.
Das Thema Karaoke schien eines zu sein, bei dem sich der Barkeeper und die fremde Schönheit anscheinend nicht ganz einig waren. "Würdest du dann mitmachen?" wollte er wissen. Möglicherweise sehnte sie sich nur danach, um Zeugin zu werden, wie sich die Pubbesucher zum Idioten machen - und hüllte sich selbst lieber in Schweigen. "Dann würde ich mein Kreuzchen auf jeden Fall bei Ja setzen und deinen Antrag unterstützen." Innerlich verdrehte er die Augen über seine eigenen Worte. Sag mir, dass du ein Politiker bist, ohne mir zu sagen, dass du ein Politiker bist. Ebenso gut hätte er ihr seine Wahllkampfagenda in die Hand drücken und "Wähl mich!" rufen können, dabei gefiel es ihm eigentlich, wie anonym sie gerade miteinander waren; sie hatten sich ja nicht einmal namentlich vorgestellt. Und nach dem Geschleime in Harvard war er froh, dass hier niemand wusste, wer er war. Möglicherweise hatte er ja Glück und sie bezog seine Aussage nicht direkt auf seinen Job, sondern nahm vielmehr an, dass er an Politik interessiert war - oder eben einfach ein Klugscheißer. Nun ja, ein klavierspielender Klugscheißer, um genau zu sein, aber er würde sich hüten, sich hier als musikalisch zu outen. Nachher weigerte sich der Barkeeper noch, ihn weiterhin zu bedienen, und welchen Grund hätte er dann noch, an diesem Tresen herumzusitzen?

Er war auf jeden Fall noch nicht bereit, wieder zu gehen. Nicht bei dieser angenehmen Gesellschaft... Und damit meinte er weder den Barkeeper noch Bobby, der ihn gerade - zugegebenermaßen wohlverdient - als Klugscheißer betitelte. Hatte er sich gerade gedanklich gerade selbst noch so bezeichnet, gefiel es ihm nicht, dass der ranzige Typ am Tresen ihn derart nannte. "So etwas nennt man Bildung. Das ist das, was passiert, wenn man in der Schule zuhört", erwiderte er kurz angebunden, ergänzte aber dann in milderem Tonfall, weil er auch nicht wie ein Arsch rüberkommen wollte: "Mikronesien ist aber auch kein Land, das man unbedingt kennen muss, glaube ich." Er wusste es auch nur, weil er mit einem Deppen aus der Footballmannschaft eine Wette gehabt hatte - wer sich innerhalb von zwei Wochen mehr Länder inklusive Hauptstadt merken konnte. Natürlich hatte Emrys haushoch gewonnen, sich 195 Hauptstädte zu merken, war für ihn keine große Kunst gewesen. Der Footballspieler dagegen hatte dem Clichée alle Ehre gemacht.
"Dein Geheimnis ist bei mir sicher", versprach er seiner Gesellschaft in vertraulichem Tonfall, während er sich leicht zu ihr herüberlehnte, ein verschwörerisches Lächeln auf den Lippen. Oh ja, diese Augen, in die er da blickte, konnten sich auch aus der Nähe sehen lassen. Es kam nicht oft vor, dass Emrys eine Frau auf Anhieb derart gut gefiel, und er konnte nicht umhin, sich noch einmal zu fragen, was für ein verrückter Zufall es wohl war, dass sie sich hier getroffen hatten. Blieb nur zu hoffen, dass es kein einmaliges Treffen blieb.
Mit einem Lachen richtete er sich wieder auf und trank erneut einen Schluck Bier. "Davongelaufen ist vielleicht der falsche Begriff." Obwohl, wenn man es genau nahm, war er ja schon froh, der Veranstaltung entkommen zu sein, auch wenn sie nicht gänzlich schrecklich gewesen war - nur eben sehr lang. "Ich war bei einem ziemlich steifen Event und brauchte zum Runterkommen jetzt etwas Normalität, ehe ich mich in mein Bett legen kann." Er unterdrückte den Impuls, klarzustellen, dass er kein Kommunist war, sondern Demokrat; am Ende verstrickten sie sich noch in eine politische Diskussion, und von der Arbeit hatte er für heute ausnahmsweise mal genug. "Das hier war einfach das erstbeste Pub, dass ich gefunden habe, als ich mich spontan entschied, noch irgendwo einzukehren. Zufall also." Sein Blick ruhte in ihrem. "Ein positiver, hoffe ich."
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#8


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,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


„Natürlich würde ich mitmachen.“ Und wie natürlich das war spiegelte sich in Ellis selbstgefälliger Tonlage wieder. „Ich würde die Bühne gar nicht mehr verlassen.“ Nicht, dass es hier eine Bühne gab, viel mehr müsste man ihr das Mikrofon aus der Hand reißen. Ob das so stimme? Vielleicht. Käme drauf an wie viel sie vorher getrunken hatte und was die Liederauswahl hergab. Vor allem aber auf den Pegel. Der Gedanke wurde jäh unterbrochen als der Fremde angab ihren Antrag unterstützen zu wollen, als hätte sie hier eine Petition ausgelegt und ihr Name war der einzige auf eine sonst leeren Liste mit Unterschriften die für einen Karaokeabend hier plädierten. „Das ist wirklich sehr nett“, sprach sie an den Mann gerichtet und sah dann wieder den Barkeeper an. „Siehst du? Mit ein bisschen mehr Kultur im Abendprogramm lockst du auch bessere Kundschaft an.“ Wieder ein Seitenhieb in Richtung Bobby, den dieser bedeutend viele Augenblicke später erst unter einem latent empörten “Hey!“ als solchen erkannte. „Nichts für ungut“, sprach Ellis an den anderen Stammgast gerichtet, welcher mit den Schultern zuckte. Er mochte Ellis ja schließlich, je nach konsumiertem Bier ein bisschen zu sehr aber immer mit Anstand, Abstand und gehörigem Respekt. Immer wieder fragte er ob er sie nach Hause begleiten dürfte und jedes Mal sagte sie nein, dann stießen sie an und vertagten das genau gleiche Gespräch bis zum nächsten gemeinsamen Abend an dieser Theke.

Mikronesien musste man also nicht unbedingt kennen. „Meinst du nicht, nein?“ Sie konnte das Grinsen nicht unterdrücken, das sich da auf ihre Lippen stahl. „Da haben wir aber nochmal Glück gehabt.“ Und dann folgte doch sogar noch ein ehrliches, gelöstes Lachen, sogar von Oliver hinter der Theke. Kein spottendes Lachen, so waren sie hier alle nicht, eher ein herzhaft amüsiertes. „Ich wüsste nichtmal wo auf dem Globus ich nach Mikronesien suchen sollte.“ Mal sehen ob die Antwort auf dem Grund ihres Glases stand - nein, tat es nicht, wie sie feststellte als sie sich mit dem Handrücken über die Mundwinkel strich um den Schaum abzuwischen. „Der erstbeste normale Pub also.“ Ellis ließ sich diese Zusammenfassung des Grundes wieso er hier war kurz durch den Kopf gehen. „Ich finde das sollten wir vorne auf die Tür schreiben, oder?“ Ein Blick in die Runde, zustimmendes Gemurmel, konnte vielleicht aber auch einfach nur Gleichgültigkeit sein und dazu dienen, dass sie endlich die Klappe hielt. Hätten sich die Anwesenden von einer Frau was sagen lassen wollen wäre sie zu Hause geblieben und nicht hierher, auf der Suche nach Ruhe und Zerstreuung.
„Ein positiver, ja. So hast du ja schließlich mich kennen gelernt.“ Und das war im Allgemeinen ein großes Glück, zumindest konnte sie diesen Anschein hier vertreten. Hier musste sie nicht die Person sein die sie daheim war. Keine zu junge Großmutter, Witwe oder Alleinerziehende. Hier war sie keck, schlagfertig, anonym. Und wenn sie morgen in einem anderen Pub jemand anderes sein wollte, dann war auch das kein Problem. Nur, dass sie nirgendwo anders einkehren wollte als hier, noch weniger nun, da sich jemand hierher verirrt hatte, der ihr intellektuell das Wasser reichen konnte. Und wusste, welche Staatsform Mikronesien hatte. Wahrscheinlich kannte er auch die Währung, das Nationalgericht und die örtliche Straßenverkehrsordnung.
Doch noch bevor sie ihn danach fragen konnte spielte dumpf der Klang ihres iPhones durch den Stoff ihres Mantels. „Moment“, bat sie um eine kleine Auszeit im Gespräch, reckte sich herum und nahm den Anruf entgegen. Unnötig aufs Display zu schauen, ihrer Tochter hatte sie einen eigenen Klingelton zugeordnet. „Hey Honey“, begrüßte sie Arizona und erkannte schon an den ersten, gesprochenen Silben, dass ihre Tochter in akuter Notlage schien. Irgendwo im Hintergrund hörte Ellis das Kind bitterlich weinen und Arizona darüber in Hysterie verfallen, dass Finlay fieberte, sie noch in die Bibliothek müsse und so weiter und so fort.. „Beruhig dich, okay? Ich bin gleich da.“ Ein Schluchzen am anderen Ende der Leitung, das die stoisch-entspannte Mimik aber nicht aus Ellis Gesicht wischen konnte. „Sieht so aus“, beklagte sie selbst den Verlust des freien Abends, „als müsste ich los.“ Sie nahm ihr Glas, leerte es in einem Zug und rutschte dann von ihrem Barhocker, zog den Mantel von der Lehne und dafür über die eigenen Schultern. „Verirr dich wieder hierher“, sprach sie an den Fremden gewandt und betrachtete ihn noch einen Moment, während sie die Knöpfe ihres Mantels schloss und ein paar Dollar aus der Handtasche zog, diese auf den Tresen legte um ihre Rechnung zu begleichen. „Gentlemen?“ Sie nickte in die Runde, Bobby verrenkte sich auf seinem Stuhl um ihr beim Abgang zuzusehen, aber der letzte Blick gehörte dem fremden Anzugträger. „Wir sind hier normal, aber bemerkenswert“, verdeutlichte sie noch einmal wieso sie es hier wert waren noch einmal von ihm besucht zu werden, dann drehte sie sich um und verließ den Pub. Raus aus der eigenen Welt, zurück in die bittere Realität von Windeln, laufenden Nasen und überforderten Teenagern.
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#9


memories of the very first day of our forever
,   Emrys Westbrook,   Ellison King
am 15.06.2020


Das würde er ja wirklich gerne sehen. Mit dem Mikro in der Hand wäre ihr die Aufmerksamkeit des ganzen Pubs sicher, daran zweifelte Emrys nicht; wie könnte es anders sein? Jedoch bezweifelte er, dass es wirklich dazu kommen würde. Der Typ hinter der Bar schien, was etwaiges Pub-Entertainment anging, das Sagen zu haben - und nicht sonderlich erpicht auf gesangstechnische Einlagen. Dabei konnten die doch den Umsatz steigern? Doch Emrys konnte auch verstehen, wenn die potentiellen Einnahmen das Gejaule, das manche Menschen mit Sicherheit von sich geben würden, nicht aufwogen. Der Politiker hatte angenommen, das Pubs und Karaoke zusammengehörten wie Seife und schwedische Gardinen, aber da konnte er sich irren. Es war ja nicht gerade so, als würde er wie Bobby jeden Abend in so einem Etablissement verbringen. Pubbesuche waren eher die Ausnahme für den vielbeschäftigten Millionär.
"Absolut", stand er der fremden Lady ein weiteres Mal zur Seite, als sie als Argument anführte, dass Kultur bessere Kundschaft anlocken würde, und grinste den Barkeeper an. "Da, wo ich herkomme, gibt es noch mehr von uns." Natürlich protestierte der Gewohnheitstrinker weiter unten am Tresen, aber das war ja nun auch nichts Neues mehr. Nichts aus dem Leben machen und dann laufend protestieren, wenn man ihm die Konsequenzen seiner Antriebslosigkeit vor Augen führte. Sowas hatte er ja gerne.

Emrys erwiderte ihr Grinsen. "Nein, absolut nicht. Es sei denn, man ist mikronesischer Einwohner - dann sollte einem der Name schon etwas sagen." Natürlich konnte er nicht nur die Landeshauptstadt herausposaunen, sondern auch mit der geografischen Verortung. Er ließ es allerdings bleiben; mit Sicherheit war sie nicht scharf darauf, sich von ihm belehren zu lassen. "Das könnte auch ein origineller Name für ein Pub sein", stimmte er ihr stattdessen zu. "Oder zumindest eine Art Unteritel." Es gab immerhin genug Menschen, die kein fancy Restaurant suchten, wenn sie draußen herumstreunten, sondern einfach ein normales Pub. Heutzutage gab es im Gastronimiebereich teilweise so abgehobene, schräge Ideen, dass Normalität manchmal schwer zu finden war. Gut, es kam auch immer darauf an, wie man Normalität definierte. Emrys in seinem Fall orientierte sich, was Pubs anging, an der Normalität der breiten Masse. Wenn er richtig gut zu Abend essen wollte, hatte er dagegen ganz andere Ansprüche; dann mussten es schon mindestens zwei Sterne und fünf Gänge sein. Vermutlich ar es nur eine Frage der Zeit, bis irgendwo ein Pub aus dem Boden schoss, das genau dies umzusetzen und mit dem typischen Flair eines abgeranzten Pubs zu vereinen. Seltsame Vorstellung.

Für ihn war es auf jeden Fall als positiv zu verbuchen, in ausgerechnet dieses Pub eingekehrt und ihr begegnet zu sein. Dass sie das genauso sah, entlockte ihm ein leises Lachen. An Selbstbewusstsein schien es ihr nicht zu mangeln, das gefiel ihm. Außerdem emfpand er es als positiv, dass sie von seinem Anzug, den sie offensichtlich als teuer erkannt hatte, nicht sonderlich beeindruckt war. Viele Frauen verfielen sofort in ein anbiederndes Jagdfieber, wenn sie das Geld an ihm rochen. Die Blondine neben ihm jedoch blieb völlig gelassen. "Wenn das mal nicht mein Glückstag heute ist", schmunzelte er daher. Doch noch ehe sie weiterreden konnten, klingelte bedauerlicherweise ihr Telefon. Emrys sah ihr zu, wie sie es hervorzog und dranging. Honey? Wer mochte das wohl sein? Hoffentlich kein Liebhaber. Emrys wollte nicht lauschen, aber er spitze schon ein wenig die Ohren, um die Stimme einordnen zu können, die durchs Telefon an das Ohr der fremden Schönheit drang. Nein, die Stimme erschien ihm weiblich, und erstaunt stellte er fest, dass ihn das regelrecht erleichterte. Er wollte sie wiedersehen, wurde ihm klar. Sollte er sie nach ihrer Nummer fragen? Doch bevor er dazu kam, glitt sie von ihrem Hocker herunter. Kurz wallte Bedauern in ihm auf, doch als sie ihm dann gleich zweifach klarmachte, dass er wiederkommen sollte, grinste er sie an. "Ich muss ja auf jeden Fall noch die Pommes hier probieren, die wurden mir warm empfohlen", erwiderte er - und dann war sie schon weg.
Bemerkenswert. Das traf ziemlich gut auf sie zu.

Einen Moment lang starrte er ihr hinterher, und als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fragte er sich kurz, ob sie wirklich hier gewesen war. Oder war er einer Fata Morgana aufgesessen? Als er sich schließlich wieder seinem Bier zuwandte, fing er den wissenden Blick des Barkeepers auf. "Es gibt keine regelmäßigen Tage, an denen sie hier ist" informierte er Emrys und trocknete wieder Gläser ab, die er anscheinend gerade frisch gespült hatte, während Emrys der blonden Erscheinung hinterhergeblickt hatte. "Aber zwei, drei Mal im Monat ist sie locker hier."
"Bist du etwa an ihr interessiert?" polterte Bobby. "Hör mal, an der Perle bin ich dran. Ich hab sie schon ein paar Mal zu mir nach Hause eingeladen, bald ist es soweit."
Emrys unterdrückte ein Grinsen und nickte stattdessen verstehend. Er hatte starke Zweifel daran, dass Bobby mit seinem Vorhaben Erfolg haben würde. "Solange du sie nicht angeleckt hast, ist da noch nichts in trockenen Tüchern", machte er dem Trinker eine Ansage, dann zog er ein Bündel Geldscheine aus dem Jackett und ließ es auf die Theke fallen. "Dann bis bald", sagte er zum Barkeeper und erhob sich. Im Hinausgehen meinte er noch, Bobby etwas grummeln zu hören wie "Hat der gerade gesagt, dass er sich an meine Perle ranmachen will? Blödes Arschloch.", dann schlug die schwere Eingangstür hinter Emrys zu, und jegliche Laute aus dem Inneren des Pubs prallten daran ab, unfähig, den Raum zu verlassen, so wie der New Yorker es gerade getan hatte.
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